Von der Alpen nach Sizilien

Von der Alpen nach Sizilien

Von den "Großen Drei" der Weltweinerzeugung - Frankreich, Italien und Spanien - hat ltalien unzweifelhaft die längste und möglicherweise auch insgesamt intensivste Verbindung mit dem Wein und dem Weinbau. In keinem anderen Land der Welt ist der Wein so allgegenwärtig wie in Italien. Jede der 20 italienischen Provinzen verfügt über Rebflächen, auch wenn der Weinbau nicht überall gleich intensiv betrieben wird. Eine Million Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche sind mit Weinreben beoflanzt.

Bis vor 15 Jahren brachte Italien jedes Jahr bis zu 75 Millionen Hektoliter Wein hervor. Das entsprach der unvorstellbaren Menge von zehn Milliarden Flaschen Wein und war mehr, als jedes andere Weinbauland der Erde produzierte. Jede fünfte Flasche Wein kam damals aus Italien. Heute ist die Jahresproduktion auf 60 Millionen Hektoliter gesunken und liegt nun in etwa auf einem Niveau mit der Frankreichs.

Geschichte des Weinbaus

Bereits in der alten Römischen Republik war der Weinkonsum gesellschaftlich fest verwurzelt, und zwar in allen gesellschaftlichen Schichten. Während man in der älteren römischen Literatur nur vage Hinweise auf die Intensität des Weinbaus findet, erörterten ab dem 2. Jahrhundert vor Christus Gelehrte in ausführlichen Abhandlungen die wichtigsten Fragen rund um den Wein.

Vor allem die Gelehrten, die sich allgemein mit Fragen der Landwirtschaft auseinander setzten, widmeten

insbesondere dem Weinbau in ihren Abhandlungen meist großen Raum. Die Fragen, die damals diskutiert wurden, haben bis heute beinahe nichts von ihrer Aktualität eingebüßt: Auch vor 2000 Jahren ging es bereits um die Wahl der richtigen Rebsorten, um die klimatischen und Bodenverhältnisse, um die Techniken der Rebpflege im Weinberg und um die richtige Weinbereitung im Keller.

Weinregionen in Italien

Darüber hinaus geben auch die erhaltenen Gesetzestexte einen gewissen Einblick in die Stellung des Weines in der römischen Gesellschaft, denn aus den gesetzlichen Abhandlungen beispielsweise über Qualitätsstufen des Weines lässt sich vieles herleiten über die Unterschiede der damaligen Weine und ihre Hierarchie, aber auch über Praktiken des Handels und der Vermarktung. Schließlich ist von Wein auch viel die Rede in medizinischen Abhandlungen, die den Schluss zulassen, dass Wein bereits in der Antike - wie ja auch bis in die frühe Neuzeit noch üblich - als ein wirksamer Heiltrunk anerkannt war.

Und auch heute kennen wir ja wieder intensive Diskussionen um die gesundheitsförderliche Wirkung maßvollen Weinkonsums.

Rund um die Zeitenwende begann sich eine intensivere Art des Weinbaus zu entwickeln, als landwirtschaftliche Güter entstanden, die sich in stärkerem Maße auf den Weinbau konzentrierten, als dies im kleinbäuerlichen ländlichen Umfeld der Fall war. Auch wenn die neuen Weingüter nicht vollständig auf den Weinbau spezialisiert waren, wurde er doch zu dieser Zeit beträchtlich intensiviert.

Die damalige Form der Rebenerziehung brachte es naturgemäß mit sich, dass auch andere Feldfrüchte auf diesen Rebflächen wuchsen, vornehmlich Oliven. Dieser "Boom" des Weinbaus fand vor allem in der Nähe der großen Absatzmärkte und Exporthäfen statt. Vor allem die rasant wachsende Weltmetropole Rom verschlang immer größere Mengen Wein. Die reiche Aristokratie erkannte das Potenzial schnell und investierte viel Geld in neue Weingüter, die meist im Umkreis von Rom lagen.

Aber auch die Versorgung der römischen Legionen, die im Zeitraum von 200 vor Christus bis 100 nach Christus den

gesamten Mittelmeerraum unterwarfen, erforderte große Mengen Wein, wenn auch sicher eher einfachen Massenwein. Nach der Eroberung Galliens 51 vor Christus wurde vor allem in diese neue, bevölkerungsreiche Provinz exportiert, bis die Gallier den Spieß umdrehten und bald so gute Weine produzierten und nach Italien verschifften, dass die Römer sehr schnell protektionistische Maßnahmen ergriffen, um diese Bedrohung der heimischen Weinwirtschaft abzuwehren.

Betroffen waren vor allem die minderen und mittelmäßigen Erzeugnisse, denn die römischen Spitzenweine hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine beinahe unangreifbare Stellung verschafft. Es waren dies vor allem die verschiedenen Arten des hochgepriesenen Falerner aus Kampanien, aber auch die süßen Weißweine aus Alba und Velletri, der Caecuber sowie noch eine ganze Reihe von Weinen aus Etrurien (Toskana) und Magna Graecia, darunter der Tarentiner und der Cirö. Doch waren diese und noch einige andere Spitzenweine rar und teuer und nicht für den kleinen Geldbeutel bestimmt.

Die Masse der Menschen begnügte sich mit den kleinen, einfachen Alltagsgewächsen, die sie selbstherstellten und über die in der Literatur wenig Lobendes zu finden ist. Doch gibt uns die große Menge der archäologischen Zeugnisse, vornehmlich Amphoren zur Aufbewahrung sowie ihre Scherben. einen Einblick in den Stellenwert, den der Wein im Alltagslebender Römer besaß. Mit dem Untergang des römischen Kaiserreiches im 5. Jahrhundert verschwanden auch die antiken Spitzenweine. In den folgenden Jahrhunderten wurde der Weinbau zwar weiter betrieben, doch senkt sich - wie in nahezu allen Bereichen der Kultur - ein dunkler Schleier über diese Zeit, denn Wirtschaft, Wissenschaft und Literatur kamen im frühen Mittelalter völlig zum Erliegen.

Mehrere kurzlebige Germanenreiche, deren Oberschicht zu den Bewohnern Italiens keinerlei dauerhafte Bindung

anstrebte, wechselten sich ab, zwischenzeitlich wurde ltalien vom Oströmischen Reich zurückerobert, bis schließlich Karl der Große weite Teile ltaliens seinem Frankenreich einverleibte, das römische Kaisertum wiederbelebte und schließlich ltalien wieder in den abendländischen Kulturkreis zurückholte.

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Bald begann die italienische Wirtschaft wieder zu erblühen, und spätestens im 14. Jahrhundert war Italien - nicht zuletzt durch die aufstrebenden Handelszentren wie Genua und Florenz und durch die Handels-und Seemacht Venedig - wieder das wirtschaftliche Zentrum Europas. In dieser Zeit wandten sich reiche bürgerliche Kaufmannsfamilien wie Antinori und Frescobaldi dem Weinbau zu, dem sie bis heute treu geblieben sind. Bald wurden italienische Weine nach Deutschland, Holland, England, Spanien und bis in den östlichen Mittelmeerraum exportiert.

In dieser Zeit waren viele der heute vorhandenen Traubensorten und der aus ihnen bereiteten Weine bereits bekannt. Doch ltalien war politisch zersplittert, Norditalien bestand zunächst aus einer Vielzahl kleiner Herzogtümer und freier Städte, die dann unter österreichische Herrschaft gerieten, Süditalien war von wechselnden fremden Mächten beherrscht, darunter vor allem von Spanien. In dieser Zeit wird in vielen in- und ausländischen Quellen übereinstimmend von einem dramatischen Qualitätsverfall der italienischen Weine berichtet, der sich bald negativ auf den Export auswirkte.

Als Italien dann 1861 endlich seine politische Einheit erlangte, kam bald darauf der Mehltau und dann die Reblaus

und verheerten den italienischen Weinbau. Was wir heute unter italienischen Weinen verstehen, hat sich erst im 20. Jahrhundert neu entwickelt, und stilistisch sind die meisten italienischen Weine, so wie wir sie heute kennen, erst ein paar Jahrzehnte alt. So wurden so berühmte Weine wie der Barolo, der Chianti oder der Orvieto - um nur einige zu nennen - bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein vorwiegend süß und meist mit einem Schuss prickelnder Kohlensäure ausgebaut.

Doch in den letzten Jahzehnten ist nichts unversucht geblieben, den italienischen Wein an die international gültigen Standards heranzuführen, und so erklären sich sicherlich auch der große Eifer und die Kreativität, mit denen die italienischen Winzer immer neue Weine und Weinstile schufen und immer noch schaffen - sei es die "Erfindung" des Brunello di Montalcino vor ca. 100 Jahren, die großflächige Anpflanzung klassischer französischer Rebsorten nach dem Zweiten Weltkrieg oder die Kreation der Super-Toskaner in den letzten Jahrzehnten.

Klimatische und Geographische Bedingungen

Ein erster Blick auf die Landkarte erweckt die Vermutung, dass aus Italien auf Grund der weit südlichen Lage ähnlich wie von der spanischen oder französischen Mittelmeerküste traditionell schwere, üppige, gelegentlich etwas breite oder sogar plumpe Weine zu erwarten seien. Doch wegen der Topographie Italiens ist dies weit gefehlt.

lm Gegenteil:

Italien bietet hinsichtlich seiner klimatischen und geographischen Beschaffenheit potenziell ideale Bedingungen für den Anbau feiner Weine, denn das Kleinklima in den italienischen Weinbergen ist insgesamt kühler, als die mediterrane Lage zunächst glauben macht. Italien umfasst vom subalpinen Klima im Norden bis zu mediterran-subtropischen Wetterverhältnissen im Süden alle Klimazonen.

ln den nördlichen Landesteilen sucht sich der Weinbau - wie im Valle d'Aosta oder im Alto Adige- geschützte Flusstäler, die von warmen südlichen Luftströmungen profitieren, durch ihre Lage jedoch vor eisigen Einflüssen aus den Hochlagen der Alpen geschützt sind. Einige norditalienische Weinbaugebiete profitieren auch von ihrer Lage an großen Wasserflächen, die - wie der Gardasee - regulierend auf die Klimaverhältnisse einwirken.

Weiter im Süden kehrt sich die Funktion der Berglandschaft für den Weinbau um. Nur 50 Kilometer östlich der piemontesischen Weinmetropole Astier hebt sich der Apennin aus der norditalienischen Poebene und zieht sich weit über 800 Kilometer den ganzen italienischen "Stiefel" hinunter bis in die Basilikata am Golf von Tarent. Dabei erreicht die Bergkette Höhen von im Schnitt um die 1000 Meter und in der Spitze von annähernd 3000 Metern bei Aquila in der Nähe der Abruzzen.

Dies gibt den italienischen Winzern die einmalige Möglichkeit, sich in beinahe jeder Region des Landes durch das

Ausweichen auf entsprechend höhere Lagen ideale klimatische Bedingungen auszusuchen. Das Geheimnis besteht nun darin, die Rebsorten anzupflanzen, die für die in den Höhenlagen langen Reifeperioden geeignet sind.

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So können auch in mediterranem Klima feine Weine entstehen, und so erklärt es sich auch, dass in den heißesten Regionen Italiens, im Süden und auf Sizilien, die Erzeugung von Weißweinen überwiegt, die durch ihren moderaten Alkoholgehalt und durch ihre Frische begeistern können, wie beispielsweise ein gut gemachter Grecodi Tufo. Natürlich spielten dabei auch die heute praktizierte frühe Lese des Traubenguts vor dem Eintritt der Überreife und vor allem modernste Kellertechnik mit temperaturkontrollierter Gärung sowie reduktiver Ausbau in Edelstahltanks eine Rolle, die die Frische der Weine bewahrt.

Diese hochwertigen Kelleranlagen sind heute überall in Italien Standard, und das Land

gehört sogar zu den führenden Produzenten und Anbietern modernster Kelleranlagen. Im kühleren Norden des Landes sind es eher Traubensorten, die körper-, alkohol-und extraktreiche Weine erbringen, welche von den Winzern bevorzugt angebaut werden, wie etwa der langsam reifende Nebbiolo, der für die weltberühmten Rotweine Barolo und Barbaresco verantwortlich ist.

Weinerzeugung

An der quantitativen Spitze der italienischen Weinerzeugung liegen Venetien, die Emilia-Romagna, Apulien und Sizilien. Diese vier Regionen bringen zusammen bereits die Hälfte der jährlichen Weinproduktion hervor. Doch die meisten Qualitätsweine kommen aus dem Piemont, der Toskana und aus Friuli-Venezia Giulia. Von den acht Millionen Hektolitern Qualitätswein, die jährlich in ltalien erzeugt werden, kommen über 90 Prozent aus diesen drei Regionen. Dabei schwanken die Ertragsmengen pro Hektar Rebfläche stark. Spitzenreiter sind die Abruzzen, in denen jeder Hektar Rebfläche pro Jahr 140 Hektoliter Wein liefert. Die Emilia-Romagna, Venetien und Apulien bringen es auf 100 Hektoliter pro Hektar Anbaufläche, während Latium, die Marken und Sizilien auf derselben Fläche 80 Hektoliter Wein erzeugen.

Die Qualitätsweingebiete Friuli-Venezia Giulia, Piemont und Toskana hingegen erzeugen im Durchschnitt lediglich 40 Hektoliter pro Hektar und liegen damit auf einem Niveau mit den besten französischen Anbaugebieten. Die italienische Qualitätspyramide umfasst seit der letzten Reformnun vier Stufen. Die unterste bildet die Kategorie des Tafelweins, des Vino da Tavola. Darüber wurde 1992 die neue Kategorie der Indicazione Geogräfica Tipica eingeführt, eine geographische Herkunftsbezeichnung, die ungefähr dem französischen Landwein, dem Vin de Pays, nachempfunden ist.

Hier finden sich mittlerweile die meisten der hochwertigen ehemaligen "neuen Tafelweine", darunter die Super-

Toskaner, denen vorher wegen ihrer Unvereinbarkeit mit den DOC-Bestimmungen lediglich die Einstufung als Tafelwein geblieben war. Traditionelles Standbein der italienischen Qualitätsweinerzeugung ist nach wie vor die DOC, die Denominazione di Origine Controllata, deren Bestimmungen vielerorts modernisiert wurden, um die Entstehung weiterer Sonderentwicklungen wie die der Super-Toskaner einzudämmen bzw. wie im Falle der Einrichtung der DOC Bolgheri Superiore diese in den DOC-Stand zu befördern.

Die Spitze der Pyramide bildet die DOCG, die Denominazione di Origine Controllata e Garantita, die mittlerweile an 20 Weine verliehen ist, darunter Barolo, Barbaresco, Brunello di Montalcino, Chianti und einige andere Spitzenweine.