Liebliche weisse Tafelweine
"Die Deutschen lieben den Rheinwein überschwänglich; er ist in großen schlanken Flaschen und gilt als angenehmes Getränk. Durch das Etikett unterscheidet man ihn von Essig."
MARK TWAIN
Leichte halbtrockene Weine
Dies ist wahrscheinlich der erste Wein, den Sie probieren, und noch wahrscheinlicher ist, daß es der erste Wein ist, den sie genießen - ein leichter süßer Weißwein im Stil von "Liebfrauwine" oder Ben Ean Moselle. Wenn sich ihr Geschmack zu trockenen Weiß- und Rotweinen weiterentwickelt hat, irritiert es Sie sicher, wenn Sie sich an Ihre Anfänge erinnern. Ich glaube, daß hier die Erklärung für die spätere Ablehnung lieblicher Weine durch so viele Weintrinker liegt, die alle lieblichen Weine mit dem milden, leicht zuckrigen Wein ihrer Anfänge verbinden.
Mosel und Spätlese
Das Verhältnis von Zucker und Säure ähnelt dem von Soft Drinks wie Sunkist Orange, Solo usw. Ein offensichtlicher Vorteil dieser Weine ist, daß sie Alkohol enthalten. Aber diese Ähnlichkeit deutet auf den Sinn und Zweck dieser Weine: Sie sind weich, erfrischend und unverbindlich. Die Süße kommt vom unvergorenen Traubenzucker. Der Winzer stoppt die Gärung durch Kühlen und Filtern, wobei gleichzeitig der Schwefeldioxidgehalt angeglichen wird, um den Wein frisch zu halten und das Risiko von weitergärender Hefe oder Bakterienentwicklung zu verhindern. Sind es Weine aus Trauben wie Frontignac oder Muscat Gordo Blanco haben sie intensives Traubenaroma und -geschmack. Australien produziert einige der besten Weine dieses Typs auf der ganzen Welt, aber im Land finden sie nicht viel Anerkennung. Wenn der Wein aus anderen Traubensorten hergestellt wird, hat er nur einen leichten Fruchtgeschmack - aus zwei Gründen: Erstens folgen die Produzenten damit dem Geschmack der Mehrheit der Konsumenten dieses Weintyps, die einen deutlichen Geschmack nicht mögen, und zweitens sind die Weine billig, produziert aus den großen Erträgen der Riverlands, die einfach keinen intensiven Geschmack haben können und deren Geschmack daher weitgehend vom Restzucker kommt.
Leichte, aromatische und liebliche Weine
Hier stehen wir nun eine Stufe höher, mit gleichermaßen mehr Frucht-oder Traubengeschmack und mehr Restsüße. Auf die Bedeutung von Botrytis werde ich unten eingehen, hier reicht der Hinweis, daß diese Weine gewöhnlich nicht aus edelfaulen Trauben hergestellt werden. Die Trauben werden meist später geerntet als die für trockenen Weißwein und haben daher mehr Zuckergehalt. Rhine Riesling ist die am häufigsten verwendete Traubensorte; in den letzten 20 Jahren hat Leo Buring ein großartiges Sortiment von Reserve Bin-Weinen produziert. Die Spitze ihrer Qualität erreichen diese Weine nach zehn Jahren in der Flasche, sie können zwanzig Jahre und älter werden. Die meisten werden jedoch schon viel früher konsumiert, vergleichsweise wenige können mit der Qualität der alten Leo-Buring-Weine Schritt halten.
Die Rolle von Botrytis
Hier wird es nun nötig, die Funktion von Botrytis zu erklären. Es ist ein Schimmelpilz (mit wissenschaftlichem Namen Botrytis cinera, in Deutschland Edelfäule, in Frankreich Pourriture noble genannt), der die Traubenschale befällt.
Der Pilz macht kleine Löcher in die Schale, aus der dann Feuchtigkeit in Form von Wasser austreten kann, wodurch sich Zucker, Säure und Geschmacksstoffe, die im Tiaubenfleisch bleiben, verstärken. Anfangs verursacht Botrytis nur eine braun-graue Verfärbung der Schale; ist er voll entwickelt, bedeckt er das ganze Traubenbüschel mit einer unappetitlichen, pelzigen grün-grauen Schicht.
Damit Botrytis gedeiht, braucht es eine ganz bestimmte Temperatur und Luftfeuchtigkeit: Ist es zu trocken, zu kalt oder zu heiß, ist er nicht mehr aktiv, ist es zu naß oder zu feucht, wird er zusammen mit anderen Schimmelpilzen und Fäulnisbakterien die Trauben völlig zerstören.
Der Effekt von Botrytis
Weine, die aus botrytisierten Trauben gemacht werden, haben ein ausgeprägtes, oft penetrantes Aroma und einen ungewöhnlich intensiven Geschmack. Wie penetrant und wie intensiv hängt davon ab, wie stark Botrytis gewirkt hat. Je größer der Befall, um so stärker sind Aroma und Geschmack und desto süßer der Wein. In Extremfällen kann es schwierig werden, noch die Traubensorte zu erkennen: Ein starker Aprikosen- und ein Aprikosen-Pfirsich-Kumquat-Geschmack herrschen vor - was durchaus nicht unangenehm ist, wie ich gleich dazusagen muß. Auch die Säure nimmt zu, was den Geschmack harmonisiert und intensiviert.
Mittelschwere, sehr süsse aromatische Weine
Viele dieser Weine werden aus botrytisierten Rhine-Riesling-Trauben hergestellt, normalerweise aus kühlen Gebieten wie Padthaway, Coonawarra oder den Adelaide Hills.
Immer wieder einmal gibt es besondere Marken wie Hardy's Padthaway Beerenauslese Riesling unter dem Collection-Etikett, Heggies und Pewsay Vale Botrytis Riesling - denn Botrytis ist unberechenbar, und die ohnehin hohen Produktionskosten dieses Weins können sich noch erhöhen.
Sie sind hoch in den Jahren, in denen der Schimmelpilz aktiv ist, weil der Ernteertrag des Mosts pro Tonne Trauben dann geringer (die Hälfte oder weniger der Norm) ist.
Triebanschnitt
Eine andere und weniger riskante Methode, sehr erfolgreich in Gebieten mit zu trockenem, zu kaltem oder zu warmem Klima für Botrytis, nennt sich Cordon oder Cane cutting.
Die traubentragenden Triebe des Rebstocks werden nahe am Stamm angeschnitten, aber am Rebstock gelassen und vom Spalier gehalten. So überträgt der Trieb (oder Zweig) Feuchtigkeit aus den Trauben zurück in das Holz oder die Blätter, wodurch die Trauben teilweise schrumpelig und rosinenartig werden. Der Wein aus diesen Trauben ist weniger komplex als der von Botrytistrauben, hat jedoch viel Geschmack.
Gefrierkonzentration
Eine weitere Methode, viel in Neuseeland, aber weniger in Australien angewandt, friert den Traubensaft teilweise vor der Gärung ein: Da das Wasser zuerst friert, kann das Eis dann vom Most getrennt werden. Arbeitet man bei botrytisiertem Saft mit dieser Technik, kann der Wein so komplex werden wie ein "natürlich" konzentrierter Wein.
Körperreiche Süssweine
Diese Weine werden meist aus Semillon gemacht, der erste Unterschied zur vorigen Gruppe. Zweitens reifen sie in Eiche, und sehr wahrscheinlich läßt man sie in Fässern aus junger Eiche gären. Die besten Weine (de Bortoli hat hier einen unübertroffenen Ruf) werden heutzutage aus botrytisierter Semillon produziert, der vorwiegend in der Murrumbridge Irrigation Area wächst.
Porphyr- und Old Style-Sauternes
Bei der traditionellen Methode - wie bei den alten Lindemans House River Porphyrys und den McWilliams Sauternes aus demselben Distrikt - nahm man einen ganz gewöhnlichen trockenen Wein und fügte Mistelle hinzu, konzentrierten, aber unvergorenen (und daher sehr süßen) Traubensaft. Der Wein reift dann viele Jahre in Flaschen - zum Beispiel waren 1991 die 1956er Lindemans Reserve Porphyry und die 1962er Penfolds Bin 474 Sauternes beide noch superb mit ihrer in Australien einmaligen Mischung von Kampfer-, Vanille- und Honigton.
Solche Weine sind jedoch eine aussterbende Art angesichts des übergroßen Angebots von botrytisierter Semillon aus der Murrumbridge Irrigation Area mit ihrer so unendlich viel größeren Komplexität, Verve und Biß.
Der Geschmack grosser süsser Weine
Zu diesem Biß und dieser Verve komme ich zum Schluß zurück. Ob es ein Rhine Riesling ist, botrytisiert und ohne Holz, mit der Süße einer Beerenauslese, oder ein Semillon mit reichem Eichen- und Botrytiston- etwas haben sie gemeinsam.
Zuerst und vor allem sind Aroma und Geschmack außerordentlich intensiv. Die vollmundige Süße des Weins überwältigt schon beim ersten Kosten die Sinne.
Wenn man ihn schluckt, kommt eine prickelnde Säure hinzu, die dem Wein Balance gibt und
erstaunlicherweise im Gaumen ein sehr frisches und sauberes Gefühl hinterläßt, als ob der Wein gar nicht süß wäre.
Diese Weine werden normalerweise in halben Flaschen verkauft - weil hier weniger einfach mehr ist. Wie ich schon sagte, sind sie teuer in der Produktion, und der Kaufpreis ist entsprechend höher als bei trockenen Weißweinen. Tatsächlich aber sind sie ein veritabler Geheimtip im heutigen Australien.
Sie schulden es sich, eine oder zwei halbe Flaschen zu kaufen, zu probieren und diese Erfahrung mit Freunden zu teilen.