Die Neue Welt des Weins

Die Neue Welt des Weins

Weinbaugeschichte

1769 - ein entscheidendes Jahr für Kalifornien: Spanier setzten der archaisch-paradiesischen Lebensweise der Ureinwohner ein jähes Ende. Angeführt vom Franziskanerpater Junipero Serra begannen Mönche und Soldaten entlang der Pazifikküste zwischen San Diego und San Francisco Missionsstationen und Siedlungen zu errichten und sich die Wildnis untertan zu machen. Die Spanier gingen nicht zimperlich um mit den zum Teil verständlicherweise Widerstand leistenden Ureinwohnern, und nicht alles, was damals geschah, ist erinnerungswürdig. Doch eine Sache, die Serra & Co. in die neue Welt brachte, sollte sich als wegweisende "Erfindung" erweisen: der Weinbau.

Nicht nur im Gottesdienst, sondem auch als profanen Alltagstrunk schätzten sie den Rebensaft und legten so den Grundstein fur die kalifornische Weinindustrie. Obwohl man in Kalifornien 1969 die 200jährige Geschichte des Weinbaus feierte, weiß keiner genau, wann denn nun wirklich erstmals gekeltert wurde. Wahrscheinlich kam der erste Wein - wie Briefe und Tagebucheintragungen von Serra andeuteten - im Jahre 1782 in San Juan Capistrano ins Faß. Die Wiege des kalifornischen Weins würde demnach im Umkreis der Missionen zwischen San Diego und Los Angeles stehen, wo Missionare erstmals die aus Europa importierten schwarzen Trauben, die "Mission grapes" (wohl eine Vitis-Vinifera-Art), ausbauten und einen schweren Meßwein produzierten. Die Nachfrage stieg kontinuierlich und 1830 soll der Weingarten der Mission San Gabriel, im heutigen Stadtgebiet von Los Angeles gelegen, schon etwa 160 000 Rebstöcke umfaßt haben.

Weinregionen in den USA

Bis zur Säkularisierung der Missionen, 1834, angeordnet von der mexikanischen Regierung,

war Weinbau hauptsächlich Sache der Klosterbrüder, doch danach nahmen mehr und mehr weltliche Unternehmer das Geschäft in die Hand. Einer der Vorreiter war schon in den 1820ern Joseph Chapman gewesen, der als erster Kalifornier kommerziell Weinbau betrieb. Auch zwei Männer aus Sonoma, nördlich von San Francisco, förderten den kalifornischen Weinbau maßgeblich: Franziskanerpater Jose Altamira, Gründer der letzten spanischen Mission, San Francisco de Solano de Sonoma (1823), und der örtliche spanische Garnisonskommandant, General Mariano Guadalupe Vallejo. Er übernahm nach der Säkularisierung des Kirchenbesitzes die von Padre Altimira 1824 gepflanzten Rebstöcke. Als der wahre "Vater des kalifornischen Weins gilt jedoch der Franzose Jean-Louis Vignes. Er war 1830 aus Bordeaux gekommen und hatte sich nach ersten Experimenten in San Diego und Monterey auf einer Ranch namens "El Aliso" in Los Angeles niedergelassen.

Unzufrieden mit den vorhandenen Pflanzen; ließ er sich europäische Vitis- Vinifera-Rebsorten aus seiner Heimat schicken. 1851 hatte Vignes schon etwa 40 000 Stöcke gepflanzt und produzierte jährlich an die 1000 Fässer Wein. Trotz des Optimismus und des Innovationsgeistes vieler Weinfreunde hätte der kalifomische Weinbau wohl nie überregionale Bedeutung erlangt, hätte man nicht 1848 im Sacramento River ein paar Klümpchen Gold gefunden und wären, davon angelockt, nicht unzählige Immigranten ins Land geströmt. Der Goldrausch veränderte Kalifornien in mehrfacher Hinsicht grundlegend und gab auch dem Weinbau aufgrund der explosionsartig steigenden Nachfrage neue Impulse. Der Lockruf des Goldes zog Mitte des vergangenen Jahrhunderts aber nicht nur Glücksritter nach Kalifomien, sondem auch Abenteurer, wie den ungarischen Grafen Agostor Haraszthy, der dem kalifomischen Wein zum endgültigen Durchbruch verhalf. Der Graf war eine schillernde Figur, wie sie im damaligen "Wilden Westen" keine Seltenheit waren: Erst Oberst der königlichen Garde in Ungam, wo er Wein schätzen lernte, dann Sheriff in der Neuen Welt, in San Diego.

Schließlich begann er in der Bucht von San Francisco Zinfandel und Muscat-Alexandria-Stecklinge, die er sich aus

Ungam schicken ließ, zu setzen und verkaufte die Tafeltrauben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die Wege des ungarischen Ex-Oberst und des spanischen Ex-Generals kreuzen würden: Haraszthy erwarb ein Grundstück neben Vallejo und ließ 1857 seine Villa im "pompejianischen Stil" genannt "Buena Vista", bauen - das älteste heute noch existierende Weingut Kaliforniens war geboren. Der Ungar machte sich jedoch zunächst auf den Weg nach Europa, um dort den Weinbau zu studieren, und kehrte schließlich mit über 100 000 Stecklingen von 300 Sorten zurück. Allerdings war Haraszthy im Herzen ein Abenteurer geblieben und so zog er 1868 nach Nicaragua, um Zuckerrohr anzubauen und Rum zu produzieren. Dort fand schon ein Jahr später das schillernde Leben des "Mannes der Gold pflanzte" ein jähes und makabres Ende: Während einer Dschungelexpedition fiel er in einen Tempel und wurde von Krokodilen zerfleischt. Der Erfolg spornte das benachbarte Napa Valley an und 1859 versuchte es John Patchett dem ungarischen Grafen gleichzutun.

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Für den richtigen Schwung sorgte hier aber erst im folgenden Jahr der preußische Einwanderer Charles Krug. Er funktionierte kurzerhand eine Apfel- zur Weinpresse um und machte sie zum Herzstück seiner Winery. In der Tat waren es vor allem Deutsche, die anfangs den amerikanischen Weinanbau vorantrieben: Karl Wente, Jakob und Frederick Beringu, Jakob Schram oder die Familien Gundlach und Bundschu. Als in den 1870ern außer Beringer auch noch Inglenook groß ins Geschäft einstieg, boomte der Weinbau: Ende der 80er zählte man allein im Napa Valley rund 600 Betriebe und es war ein Forschungszentrum in Berkeley (UC) entstanden, das letztendlich zur Gründung der Weinhochschule in Davis führte.

Doch die Freude währte nicht lange: Anfang der 1890er vernichtete eine Reblausplage riesige Flächen und ehe man

sich versah, überfluteten europäische Billigimporte das Land. Erschwerend kam hinzu, daß das damalige Hauptanbaugebiet um Los Angeles mehr und mehr der Bauwut zum Opfer fiel. Heute erinnern nur noch Straßennahmen wie "Zinfandel Lane" an die früheren Glanzzeiten. Gerade als die Neupflanzungen Ertrag zu bringen versprachen, ereilte die Winzer ein neuer Rückschlag: Während der sog. Prohibition zwischen 1920 und 1933 wurden Herstellung und Konsum von Alkohol in ganz USA gesetzlich verboten. Es hatte zunächst den Anschein, daß der endgültige Kollaps vorprogrammiert war: ein Großteil der Weingüter wurde in Weideflächen oder Obstplantagen umgewandelt und nur wenige Weinbauern "überlebten" als Produzenten von Meßwein oder Wein zu "medizinischen Zwecken". Vielfach wurde auch illegal gekeltert oder man verkaufte die Trauben mit der unmißverständlichen Anweisung, auf keinen Fall Hefe zuzugeben, denn sonst würde der Traubensaft gären... Kein Wunder, daß während der Prohibition mehr Wein als je zuvor konsumiert wurde!

Eine Handvoll Winzer hielt die Fahne hoch und so folgte nach der Aufhebung des Verbots, 1933, eine Explosion: Rund 800 lizenzierte Winerys schossen wie Pilze aus dem Boden, machten allerdings nicht das erhoffte Geschäft. Ertragstarke Rebstöcke fehlten, die Weingärten waren ebenso wie die Anlagen veraltet bzw. stark vernachlässigt. Nach wenigen Jahren waren so nur mehr 200 Lizenzen übrig. Einen fundierten Neubeginn wagen nur wenige, wie Dr. Albert Winkler und Prof. Maynard A. Amerine, Vitikulteur und Onologe, und sie verhalfen der kalifornischen Weinindustrie zu einer neuen Blüte. Sie untersuchten die Wechselwirkungen zwischen Rebsorten Klima und Böden und schufen die Grundlage für die Einteilung der kalifornischen Anbaugebiete in Klimazonen. Edmund und Robert Rossi dachten sich neue Marketingsstrategien aus und waren Wegbereiter für das "Wine Institute of California". Dem Weinhändler Frank Schoonmaker schließlich sind die Sortenbezeichnungen auf den Etiketten zu verdanken. Im vormals kaum beachteten Central Valley begannen einige italienische Familien, unter ihnen die Brüder Ernest und Julio Gallo, mit der Produktion erschwinglicher Massenweine.

Andere Personen, heute legendär, traten in Erscheinung und begannen in den Jahren nach der Prohibition den kalifornischen Wein wieder salonfähig zu machen:

Louis M, Martini, Brother Timothy von den Christian Brothers, Myron Nightingale oder George de Latour (Beaulieu Vineyards). Letzterer hatte mit der Verpflichtung des Russen Andre Tchelistcheff - ein intimer Kenner des französlschen Weinbaus - 1939 als Kellermeister einen wegweisenden Schritt getan. Dennoch folgte man europäischen Traditionen nicht zwanghaft, man experimentierte und legte viel Innovationsgeist und Unkonventionalität an den Tag. Besonders die University of California at Davis beschritt bei der Wiederbelebung der Weinindustrie konsequent neue Wege. Sie erwies sich in den 1960ern und 70ern zusammen mit "Visionären" wie Joe Heitz (Marrtha's Vineyard), Robert Mondavi oder den drei Ingenieuren des Stanford Research Institutes, Dave Bennion, Hew Crane und Charlie Rosen, als mitverantwortlich für einen neuen Boom.

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Letztgenannte drei Männer gelten seit ihrem ersten Cabernet Sauvignon und der Gründung ihres Weinguts Rldge als Wegbereiter des Revivals kalifornischer Weine. Bald mußten sogar verwöhnte Kehlen zugeben, daß dle kalifornischen Weine an Qualität selbst französischen Spitzenprodukten nicht mehr nachstanden. Als schließlich 1976 bei einer internationalen Blindverkostung ein kalifornischer Cabernet Sauvignon von Stags' Leap gegen einen französischen Chateau Lafitte Rothschild den Sieg heimtrug, ging ein Raunen durch die Fachwelt. Hochmoderne Großbetriebe schossen ab den Siebzigern wie Pilze aus dem Boden, Weltunternehmen wie Coca Cola, Firestone oder Nestle investierten in den Weinbau, und europäische Großproduzenten wie Chandon, Heidsieck oder Roederer errichteten Filialen. Doch neben der Masse machte sich ein neuer Trend bemerkbar: Das Streben nach Verbesserung und Veredlung des Produkts. In einem Zuge mit der wachsenden Beliebtheit von "Health Food" wurde auch in den USA die gesundheitsfördernde Wirkung des Weins erkannt und akzeptiert, wozu eine landesweit ausgestrahlte TV-Sendung 1996 erheblich beitrug.

Seither stelgt der Weinkonsum und ist in Kombination mit der kalifornischen Küche mittlerweile zu einem Teil des

"Californian way of life" geworden. Mit der internationalen Anerkennung explodierte auch der Export: von 26,5 Mio. Liter 1986 auf etwa 147 Mio. Liter 1995. Das Qualitätsbewußtsein wurde durch die jüngste Reblausplage indirekt gefördert: "Klasse statt Masse" und gezieltere Sortenwahl und Terroirbeobachtung hießen nun die Leitlinien; selbst ein Weingigant wie Gallo schloß sich - mit Gallo Sonoma - dem Trend an. Neue Sorten kamen ins Gespräch, alte Marktführer wurden mutig ignoriert und Handarbeit und Individualität rückten in den Vordergrund. "Weine kommen nicht aus Labors", meint Helen Turley, eine der modernen Wegbereiterinen, die neben Könnern wie Tony Soter, Philip Togni, Ric Forman, Josh Jensen oder Paul Draper der kalifornischen Weinszene zu Ruf und Ansehen verhalf. Eine Lanze für kalifornische Weine brach dann auch 1996 "Wein-guru" Robert Parker mit seinem Artikel "America Dreamin" im Wine Advocat. Er wies erstmals öffentllch auf die sensationelle Entwicklung in der Weinszene Kaliforniens hin, daß dort seit 1990 konstant hervorragende Weine produziert würden, und zwar von einer Schar unbeschwerter, experimentierfreudiger Wlnzer.

Der Pazifische Nordwesten

Auf eine ähnlich beachtliche Tradition wie Kalifornien können die Winzer im Pazifischen Nordwesten Amerikas nicht zurückblicken. Auch dort wurzelt der moderne Weinbau zwar in den 1960ern- nach bescheidenen Versuchen im 19. Jahrhundert -, doch lief und läuft hier alles etwas gemächlicher ab als im dynamisch-umtriebigen Kalifornien. In den beiden US-Bundesstaaten Washington und besonders Oregon war man von Anfang an bescheidener, was Erntemengen, Flächen, Absatz, aber auch Beachtung, Auszeichnungen und Popularität betraf - und konnte dadurch Problemen, die mit der Massenproduktion einhergehen, weitgehend aus dem Weg gehen. Die andere Mentalität der "Northwesterners" wirkte sich auch auf den Weinbau aus und seit jeher steht Qualität über Quantität. W.B. Bridgman war 1917 der erste gewesen, der europäische Reben im Yakima Valley, im Ostteil Washingtons, anpflanzte. Andere Mutige folgten, doch keiner der frühen Versuche überstand die Prohibiton.

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Gleich danach, 1933, wurde die Honeywood Winery in Oregon gegründet, die heute zu den

wenigen alten Betrieben des Bundesstaates gehört. Aber erst in den 60ern sorgten einige Betriebe - von denen viele, wie Chateau Ste. Michelle und Columbia Winery (beide WA) sowie Erath, Eyrie oder Ponzi Vineyards (OR), bis heute führend sind - für einen Neubeginn. Maßgeblichen Anteil daran, daß Oregon in den Blickpunkt rückte, hatte eine Blindverkostung französischer Burgunder und Pinot Noirs aus Oregon, 1980, bei der der 1975er Pinot Noir von Eyrie europäische Weine spektakulär ausstach. Dennoch hielt man sich weiter bescheiden im Hintergrund, was zur Folge hatte, daß die Rebensäfte der Nordwestregion lange Zeit im Schatten Kaliforniens standen und nur lokal ernstgenommen wurden.

Mittlerweile haben sich rund 220 Betriebe in beiden Bundesstaaten etabliert und das Spannende ist das ungeheure Potential, das noch im Verborgenen liegt. Die Region ist innovativ und manchem Unternehmen gelingt es innerhalb verblüffend kurzer Zeit, sich unter die Spitzenerzeuger in den USA einzureihen. Erst in den letzten Jahren entdeckten Weinfreunde die vorzüglichen Tropfen aus dem Nordwesten der USA, doch noch heute sind Produkte aus Oregon oder Washington in hiesigen Weinläden eine Rarität, was allerdings nicht allein am Desinteresse europäischer Importeure liegt, sondem vielfach an den kleinen Produktionsmengen und der Ballung von Weinfreunden in den Großstädten Portland, Seattle und Vancouver.

Dennoch wird es sicher nur eine Frage der Zeit sein, bis auch in hiesigen Regalen vermehrt Weine dieser Regionen

neben den kalifornischen liegen. Die Entwicklung des Weinbaus in der kanadischen Westprovinz British Columbia verlief unabhängig von den USA. Das liegt einerseits an den unterschiedlichen historischen und kulturellen Gegebenheiten, vor allem aber daran, daß es in Kanada keine Prohibition gab. Die Wurzeln der Weinproduktion reichen im wüstenähnlichen Okanagan Valley in das frühe 19. Jahrhundert zurück, doch erst im 20. fand eine Ausweitung statt. Zu den ältesten Weingütern gehören Calona Wines, 1932 ins Leben gerufen, und die Summerhill Estate Winery. Lange Zeit waren die Weine aus British Columbia nur Eingeweihten ein Begriff, bis der Trend vom südlichen Nachbarn USA nach Norden herüberschwappte und in den 70em ein Revival der Weinindustrie einsetzte. Zwar gelten die besten Tropfen aus British Columbia heute noch als schwer erhältlicher Geheimtip unter Kennern, doch die Kundschaft wird zunehmend international.