Geschmacksqualitäten

Geschmacksqualitäten

Süsse

Wie jeder leicht selbst erproben kann, löst ein Schluck Wasser mit aufgelostem Kristallzucker eine charakteristische Empfindung an der Zungenspitze aus. Aber auch an den Mundschleimhäuten innen unterhalb der Unterlippe wird die Süße wahrgenommen. Bei Kleinkindern ist diese Süßregion viel ausgedehnter als bei Erwachsenen. Die Empfindung von Süße führt zur Ausscheidung eines dickflüssigen, klebrigen Speichels. Im Wein wirken nicht nur verschiedene Arten von Zucker, sondern auch Alkohol und Glyzerin auf der Zunge süß.

Säure

Die Empfindung von Säure reizt besonders die Zungenränder, aber auch die inneren Schleimhaute der Wangen werden leicht erregt. Sie zieht das Zahnfleisch zusammen und laßt reichlich dünnflüssigen Speichel fließen. Diese Beobachtungen kann man mit einem zu grünen Apfel ebenso machen wie bei einem essigsauren Salat. Säure ist ein elementarer Bestandteil des Weines. Ein "saurer" Wein ist ungenießbar, kratzig, aber ein Wein, dem es an Säure mangelt, wirkt schlaff, ausdruckslos und fade. Darüber hinaus kommt es aber beim richtigen Säuregehalt weniger auf die Säuremenge im Wein an als vielmehr auf das Verhältnis von Säure und Süße. Man denke nur an saure Drops oder Zitronenlimonade: Zucker und Säure müssen harmonisch ausgeglichen sein, dann ist die Süße kostlich und die Säure gibt den gewissen Pfiff, das gewisse Etwas. Und ganz ähnlich ist es auch beim Wein.

Süsse und Säure im Wein

Wieviel Süße im Wein als angenehm empfunden wird, ist in hohem Grade Geschmackssache. Dennoch gibt es eine feine und eine plumpe Süße, eine edle, harmonische und eine klotzige, dicke, aufdringliche. Wie die Süße im Wein wirkt, hängt dabei ganz wesentlich vom Säuregehalt ab, und es erfordert einiges an Konzentration, Säure und Süße im Gesamt-Geschmacksbild auseinanderzuhalten und zu bewerten. Für unseren kleinen Kurs zum Thema "Süße und Säure" sind generell Weißweine am besten geeignet. Sie sind im Geschmacksbild übersichtlicher, weil der Gerbstoff keine nennenswerte Rolle spielt, und werden stärker durch Süße und Säure geprägt.

Kaufen Sie am besten zunächst einmal drei einfache Weine, die als "lieblich", "halbtrocken" und "trocken" deklariert

sind (in Kaufhäusern und Supermärkten ist die Geschmacksrichtung, d.h. der Süßegrad der Weine, häufig angegeben, z. B. durch das "Deutsche Weinsiegel": rot = lieblich (süß), grün =halbtrocken, gelb = trocken). Für das süßearme Extrem der Skala brauchen Sie einen "knochentrockenen", durchgegorenen Wein, z.B. einen mit der Aufschrift "Für Diabetiker geeignet". Damit kommen Sie fürs erste aus. Aufschlußreicher wird die Probe allerdings, wenn Sie noch etwas tiefer in die Tasche greifen. Leisten Sie sich eine trockene Spätlese, außerdem einen spritzigen Halbtrockenen der guten Mittelklasse, am besten einen Riesling.

Ahr_01

Und schließlich - daran führt bei einer Süßwein-Probe kein Weg vorbei - sollten Sie auch eine 0,5-Liter-Flasche eines süßen Edelweines probieren, z.B. eine Beerenauslese, nicht älter als fünf Jahre. Vergleichen Sie dann auch jeweils die "gehobene" Variante gegen die einfache der gleichen Geschmacksrichtung! Konzentrieren Sie sich erst einmal ganz auf die Wahrnehmung der Süße, die vor allem in den ersten Sekunden den Geschmackseindruck beherrscht: können Sie den unterschiedlichen Zuckergehalt erkennen? Der Säuregeschmack entwickelt sich etwas langsamer, und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Weinen sind viel geringer. Dann lassen Sie das Geschmacksbild insgesamt auf sich wirken: ist der Wein harmonisch, ausgewogen? "Trocken" heißt "süßearm". Das heißt, die Säure tritt vergleichsweise klar und unverdeckt zutage, sie kann sich nicht in ein sanftes, gefälliges Zuckerpolster schmiegen.

Trockene Weine sind ehrliche Weine - nicht immer zu ihrem besten:

ein billiger trockener Wein läuft viel eher Gefahr, auch "billig" zu schmecken, als ein billiger halbtrockener. Auch wenn Sie eigentlich süße Weine nicht besonders schätzen, werden Sie sehr wahrscheinlich nicht darum herumkommen, die feine, harmonische Süße der Beerenauslese anzuerkennen. Vielleicht werden Sie sogar unverhofft zum Anhänger süßer Edelweine. Wenn Sie der Süße und der Säure im Wein auf der Spur sind, dann beachten Sie auch, daß die Geschmacksempfindungen etwas zeitlich versetzt eintreten: in den ersten zwei bis drei Sekunden ist die Süße sehr vorherrschend, erst nach etwa fünf Sekunden tritt die Säure langsam in den Vordergrund, während die Süße empfindung zurückgeht.

Bitter

Die Empfindung "bitter" - definitionsgemäß der Geschmack einer Coffein- oder Chininlosung - gibt es strenggenommen im Wein nicht; wenn sie dennoch vorkommt, so deutet das auf einen Weinfehler hin. Im Wein können aber Vertreter aus der Familie der Gerbstoffe dem Bittergeschmack nahe kommen. Im sauren Umfeld, wie es im Wein herrscht, wirken Gerbstoffe weniger bitter als vielmehr adstringierend, d.h. zusammenziehend, und erzeugen auf den Mundschleimhäuten ein rauhes Gefühl (wohlbekannt von einfachen südländischen Rotweinen, die man im Ursprungsland zu fetten, stark gewürzten Grillgerichten trinkt und zu diesem Zweck durchaus genießen kann).

In der zeitlichen Folge der Geschmacksempfindungen entwickeln sich die bitteren Töne zuletzt, was auf der Hand liegt,

wenn wir uns an die Anordnung der Geschmackszonen auf der Zunge erinnern. Gerbstoffe, auch Tannine genannt, stammen im wesentlichen aus den Traubenstielen, den Beerenschalen und den -kernen. Wahrscheinlich haben Sie schon einmal den Kern einer Weintraube zerbissen und den bitteren Geschmack gespürt. Zusammen mit den roten Farbstoffen, welche ausschließlich aus Beerenschalen stammen (das Beerenfleisch blauer Trauben ist überwiegend weiß), gelangen sie bei der Maischegärung und beim Preßvorgang in die Rotweine, wo sie zum natürlichen Geschmacksbild gehören. In Weißweinen hingegen sind schmeckbare Tännine unerwünscht. In Weinen aus südlichen Ländern sind Gerb-und Farbstoffe - bedingt durch Traubensorten und Klima -ausgeprägter als in Rotweinen, die nördlich der Alpen gewachsen sind.

Tannine im Rotwein

Besorgen Sie sich einen billigen, jungen, herben südländischen Cabernet Sauvignon (eine Rebsorte) und zum Vergleich z.B. einen reifen, weichen Merlot oder Pinot Noir mit der Aufschrift AC, Grand Cru o.ä. (Qualitätsstufen vergleichbar unseren Q.b.A., Spätlesen etc.). Das ist ein nicht ganz billiges Vergnügen, am besten lassen Sie sich vom Weinhändler beraten. Außerdem sollten Sie zwei deutsche Rotweine kaufen, z.B. einen jungen, gerbstoffreichen Lemberger und einen reifen, milden Spätburgunder.

Im typischen Falle ist der einfache, nicht ausgereifte südländische Rotwein ein rechter Rachenputzer, rauh und pelzig

auf den Schleimhäuten, der edle, reife Rotwein hingegen, obwohl ebenfalls gerbstoffreich, wirkt kraftvoll, warm und harmbnisch. Im Vergleich dazu schmecken deutsche Rotweine samtiger, delikatet saftiger. Von Anhängern des südlichen, schweren Rotweines werden sie daher gelegentlich als "rote Weißweine" verspottet. Eine oberflächliche Sicht, denn deutsche Rotweine schmecken zweifellos beträchtlich anders als deutsche Weißweine, natürlich auch anders als französische Rotweine -sie sind eben etwas Eigenes. Entscheiden Sie selbst, was Ihnen schmeckt!

Der Geschmackssinn

Der Geschmackssinn

Im Vergleich zu der Vielfalt der Aromen, die über die Riechschleimhaut wahrgenommen werden, erscheint die Zunge als eher grobes Sinneswerkzeug. Nur vier Grundqualitäten - süß, sauer, salzig und bitter - können hier erkannt werden. Diese vier Geschmacksobertöne aber bilden den Rahmen, das Gerüst für all die feineren Empfindungen, die in der Nase angesiedelt sind. So spricht man beim Wein von einem Tanningerüst (Tannine sind Bitterstoffe), und die Fülle edler Aromen, die den großen Wein ausmacht, kann sich erst vor dem Hintergrund einer gesunden Süße-Säure-Basis entfalten. Ein Wein, bei dem diese grundlegenden Geschmackskomponenten nicht stimmen, kann niemals ein guter Wein sein, da helfen auch die feinsten Nuancen nicht. Das eigentliche Geschmacksorgan auf der Zunge wird durch die Gesamtheit der etwa 2000 sogenannten Geschmacksknospen gebildet. An ihrer Spitze befindet sich eine kleine Einsenkung, in die stiftartige feine Ausläufer der Sinneszelle nmünden.

Hier erfolgt der eigentliche Kontakt zwischen den Geschmacksstoffen und der Sinneszelle.

Spüldrüsen, die wie eine Wasserspülung funktionieren, reinigen die Geschmackspore für neu ankommende Nahrungsstoffe. Die Zahl der Geschmacksknospen ist beim Neugeborenen am größten und nimmt dann stetig ab. So zeigt der hintere Teil des weichen Gaumens ebenso wie der Zungenrücken bei Jugendlichen noch einen gut ausgeprägten Geschmackssinn, während schon jenseits des 50. Lebensjahres in diesem Bereich eine Altersrückbildung zu verzeichnen ist. Die Geschmacksknospen sind in die Oberflache von unterschiedlich gestalteten Geschmackspapillen - das sind die mit bloßem Auge sichtbaren Zungenwarzen - eingebettet. Die Papillenform hat deutlichen Einfluß auf die Sinneswahrnehmung. So haften Geschmackseindrücke im Bereich der Zungenwurzel, wo die sogenannten umwallten Geschmackspapillen in die Zunge eingesenkt sind, länger als vorn, wo die Geschmacksknospen auf pilzformigen Papillen relativ freistehen und der Geschmack daher früher und intensiver, aber nicht so nachhaltig wirksam wird.

Deshalb spricht man bei einer Weinprobe gelegentlich vom schlechten Abgang eines Weines und hinten wegfallen, wenn eine intensive Geschmacksempfindung im hinteren Zungenbereich ausbleibt. Die vier Geschmacksqualitäten werden nicht etwa gleichmäßig auf der gesamten Zungenoberfläche wahrgenommen, sondern die Zunge ist in verschiedene spezialisierte Geschmackszonen aufgeteilt.

Selbsttest Geschmacksschwellenwerte

Das genaue, bewußte Schmecken läßt sich üben und trainieren. Zum Beispiel können Sie lhre persönlichen Geschmacksschwellenwerte auf einfache Weise zu Hause erproben. Am besten geeignet für den Hausgebrauch sind weißer Zucker (Saccharose; Puderzucker ist besonders gut löslich) für den Süßgeschmack, Kochsalz (Natriumchlorid) für den Salzgeschmack und Zitronensäure (Drogerie oder Apotheke) für die Säureprobe. Coffein für den Bittergeschmack lassen Sie sich am besten direkt in fünf 0,05-Gramm-Portionen in der Apotheke abwiegen. Erklären Sie dem Apotheker lhr Anliegen, denn reines Coffein ist eigentlich rezeptpflichtig. Für die anderen Geschmacksstoffe lassen sich die gewünschten Konzentrationen zu Hause auf einer Digitalbriefwaage hinreichend genau abwiegen. Beginnen Sie jeweils mit 0,2 Gramm (auf einem gefalteten Stückchen Butterbrotpapier abwiegen, Papiergewicht abziehen) auf einen Liter geschmacksfreies Wasser.

Umgang_Mit_Wein_01

Gut umrühren!

Probieren Sie einen Schluck. Ist ein Geschmack zu erkennen? Dann kommen weitere 0,2 Gramm hinzu usw. In wissenschaftlichem Sinne genau ist das Verfahren natürlich nicht, weil ja mit jedem Schluck ein wenig Wasser aus der Literflasche verschwindet, aber für unsere Bedürfnisse - schließlich geht es in erster Linie um die genaue Selbstbeobachtung - reicht es allemal. Lassen Sie die Geschmacksprobe eine Weile auf die Zunge einwirken, und warten Sie ein wenig, bevor Sie die nächste Konzentration kosten. Beobachten Sie genau, ab wann Sie den Geschmack identifizieren können.

Als Anhaltspunkt: bei Geschmacksschwellenversuchen mit jeweils mehreren hundert Personen lagen die Wahrnehmungsgrenzen z.B. für Saccharose zwischen O,5 und 4 Gramm pro Liter (mit einem Maximum bei 2 Gramm), für Kochsalz zwischen O,1 und 1 Gramm (mit Maximum bei 0,25 Gramm),für Coffein bei 0,1 bis 0,2 Gramm. Erheblich aufwendiger, aber ein interessantes Gesellschaftsspiel ist die Blindprobe. Ziel ist es, eine Reihe von fünf unterschiedlichen Konzentrationen nach der Geschmacksintensität in die richtige Reihenfolge zu bringen. Dazu brauchen Sie pro Geschmacksqualität fünf Literflaschen mit Etikett, gefüllt mit klarem Wasser, welches mit dem Geschmacksstoff in abgestuften Konzentrationen (etwa bei Ihrem Schwellenwert beginnend und um jeweils z.B.1 Gramm ansteigend) versetzt wird; Konzentration auf dem Etikett notieren!

Dann das Etikett verdecken (Papier oder Tuch darumwickeln), und die Reihenfolge der Flaschen vertauschen.

Nun versuchen Sie, die richtige Reihenfolge wieder herzustellen. Sie werden überrascht sein! So vermitteln die Zungenspitze und der vordere seitliche Zungenrand die Eindrücke süß und salzig, sauer wird vorwiegend an der Zungenseite wahrgenommen und bitter ganz hinten am Zungengrund. In der Mitte der Zunge und an ihrer Unterseite sind praktisch keine Geschmacksorgane vorhanden, an diesen Abschnitten der Zunge werden lediglich Druckempfindungen sowie Temperatur und Konsistenz der Nahrung erkannt. Ganz geschmacksunempfindlich sind - zumindest beim Erwachsenen - auch die Lippen, die Wangenschleimhaut, das Zahnfleisch und der harte Gaumen. Damit bei der Weinprobe ein möglichst intensiver Geschmackseindruck entsteht, muß der Probeschluck auf der Zunge gleichmäßig verteilt werden.

Der geübte Weinkenner bewerkstelligt dies durch ausgiebiges Schlürfen, "Kauen" und Hin- und Herrollen des Weines bei gleichzeitigem Einsaugen von etwas Luft. Eine professionelle Weinprobe ist daher stets ein beeindruckendes Geräuscherlebnis. Während schon wenige Moleküle bestimmter Riechsubstanzen ausreichen, um einen Geruchseindruck zu vermitteln, liegen die Geschmacksschwellen wesentlich hoher. Es müssen teilweise drei bis vier Gramm einer Substanz auf einen Liter Wasser vorhanden sein, bevor überhaupt ein Geschmackseindruck zustande kommt. Dabei entsteht zunächst eine unbestimmte Empfindung, die noch keiner Geschmacksqualitat zugeordnet werden kann; erst bei beträchtlich höheren Konzentrationen, jenseits der Erkennungsschwelle, wird die Identifizierung der Geschmackssubstanz möglich.

Merkwürdigerweise wird der Reizschwellenwert auch von der Witterung beeinflußt.

Bei vielen Versuchspersonen wurde festgestellt, daß die Reizschwelle beim Durchzug von Kaltfronten niedriger liegt als unter dem Einfluß von Warmfronten. Besonders eklatant setzen Gewitter die Reizschwelle herab: Blitz und Donner schärfen den Geschmackssinn. Neben den Grundqualitäten süß, sauer, salzig und bitter kommen im täglichen Leben sehr haufig Mischungen dieser Geschmackskomponenten vor. Darüber hinaus schmecken Metalle und Metallsalze metallisch, und scharfe Gewürze, wie etwa der Pfeffer, verursachen ein brennendes Gefühl. Die Kalteempfindung von Menthol wird nicht über den Geschmackssinn vermittelt, sondern über temperaturempfindliche Sinneszellen in Mund und Rachen, sogenannte Thermorezeptoren.

Zunge und Gaumen

Zunge und Gaumen

Nachdem Sie den Wein ausgiebig mit der Nase befragt haben, kommen wir zum Höhepunkt der Weinprobe und nehmen einen Schluck. Wie schon früher erwähnt, reagieren die Geschmacksknospen der Zunge nur an bestimmten Stellen auf Süße, Säure und Bittergeschmack. Nehmen Sie deshalb den Mund so voll Wein, daß Sie den Schluck leicht über die ganze Zungenoberfläche rollen lassen können. Neben Süße, Säure und Bittergeschmack werden bei der Mundprobe auch die Duftstoffe im Nasenraum noch einmal intensiv wirksam. Um die Aromen des Weines im sogenannten Rückgeruch möglichst vollständig zu erfassen, läßt man, wie der französische Weinkenner Max Leglise formuliert, "den Wein im Mund rollen und zieht dabei, mit kleinen Zwischenpausen, die Luft durch die Zahne.

Dieses Beißen des Weines befreit die weniger flüchtigen Aromen, die man beim direkten Riechen nicht wahrnehmen

konnte." Im Augenblick des Schluckens ist die Empfindung am intensivsten. Es empfiehlt sich daher, während der etwa zehn Sekunden, die man den Wein im Mund behält, ein- oder zweimal eine ganz geringe Menge zu schlucken. Max Leglise beschreibt diesen Vorgang sehr treffend: "Mit dem ersten Schluckwürdigt man die Säure, mit dem zweiten die Süße, mit dem dritten den Gerbstoff." Dieser Vorgang wird so lange wiederholt, bis Sie sich ein festes Urteil gebildet haben. Notieren Sie dann Ihren ersten Eindruck. Erst danach beginnen Sie, den Wein systematisch auf seine Geschmacks- und Aromaeigenschaften hin zu untersuchen.

Süsse

In der ersten Einschätzung wird der Wein als trocken oder süß bezeichnet. Dies ist ein sehr grundsätzliches und leicht zu beurteilendes Merkmal, das besonders bei Weißweinen von Bedeutung ist, da Süße und Säure hier für den Gesamtcharakter eine noch bestimmendere Rolle spielen als bei Rotweinen. Aber Vorsicht: Zum einen sind die süßen Töne im ersten Augenblick sehr vorherrschend, also - abwarten, dann erst urteilen. Zum zweiten wird der tatsächliche Zuckergehalt leicht unterschätzt, wenn der Säureanteil hoch ist, und umgekehrt. Die hohe Kunst der Weinbereitung besteht im Ausbalancieren von Zucker und Säure. Ein gut ausgeglichener süßer Wein vermittelt den Eindruck einer eleganten, saftigen Süße, trockene Weine werden durch den Hauch von Süße, die auf der Zunge kaum wahrnehmbar ist, gefälliger und runder im Geschmack.

Umgang_mit_Wein_01

Wie kommt der Zucker in den Wein?

In den Trauben ist zur Lesezeit etwa gleichviel Traubenzucker (Glukose) und Fruchtzucker (Fruktose) enthalten. Die Oechslegrade sind ein Maß für den Gesamtzuckergehalt des Mostes; er ist vor allem abhängig von der Sonnenscheindauer während der Traubenreifung. Bei der Gärung wird der Zucker durch Hefezellen in Alkohol umgewandelt; daher sind Weine aus sonnenreichen südlichen Gebieten besonders alkoholreich. Weine aus kühleren Anbaugebieten eher leicht. Ist der Zuckergehalt des Mostes zu gering, um einen schmnackhaften Wein daraus zu machen, so darf er von der Gärung "angereichert" werden, d.h. es wird Rohzucker (Saccharose) zugesetzt, den die Hefen in zusätzlichen Alkohol umsetzen. Chemisch unterscheidet er sich in keiner Weise von dem Alkohol aus natürlichem Zucker. Für Prädikatsweine ("Qualitätswein mit Prädikat Kabinett" usw.) ist dieses Verfahren in Deutschland nicht gestattet, im Gegensatz zu Frankreich, wo auch Spitzenweine angereichert werden dürfen (hier "Chaptalisation" genannt).

Der Zuckergehalt im fertigen Wein setzt sich zusammen aus dem Restzucker - das ist der Zuckeranteil, der nach

abgeschlossener Gärung noch im Wein übrigbleibt - und dem Zucker aus der Süßreserve - das ist später zur Geschmacksabrundung zugesetzter Traubenmost ("Reserve", weil der Winzer diesen Most, statt ihn zu vergären, zum späteren Süßen "reserviert"). In aller Regel läßt man Wein heute durchgären, soweit es geht, und schmeckt ihn anschließend mit Süßreserve ab. Der allgemein gebräuchliche Ausdruck "Restzucker" oder "Restsüße" für den gesamten Zuckergehalt im Wein ist daher aus dem oben genannten Grund mißverständlich. Natürlicher Restzucker und zugesetzte Süßreserve lassen sich geschmacklich nicht unterscheiden.

Die Geschmacksrichtung eines Weines - lieblich, halbtrocken oder trocken -ist in erster Linie eine Kurzbezeichnung für den Zuckergehalt; die zulässigen Zuckerkonzentrationen in Milligramm pro Liter (mg/l) für die drei Geschmacksstufen sind gesetzlich festgelegt. Ähnliche Abstufungen gibt es auch für Sekt, allerdings mit anderen Grenzwerten, denn das schäumende Kohlendioxgas und die meist hohe Säure der Grundweine brauchen als Gegengewicht eine hohe Restsüße. So enthält "trockener" Sekt bis zu fünfmal soviel Zucker wie "trockener" Wein. Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, daß ein trockener Wein ein Saurer Wein sei. Ein trockener Wein enthält nicht unbedingt mehr Säure als ein lieblicher, aber die Säure tritt deutlicher hervor, weil sie nicht, wie im lieblichen Wein, durch Süße geschmacklich aufgefangen wird.

Säure

Die Säure prägt entscheidend den Charakter des Weines, sie gibt ihm Leben und Rückgrat und vollendet den Geschmack. Die deutschen Weine zeichnen sich gegenüber den meisten anderen Weinen der Welt durch ihre fruchtige und spritzige Säure aus. Steht die Säure in einem als angenehm empfundenen Verhältnis zu den anderen Geschmackskomponenten des Weines, dann spricht man von fruchtiger, angenehmer, reifer oder spritziger Säure. Im gegenteiligen Fall nennt man sie hart, spitz, grasig oder grün. Hier kann ein Blick auf die Analysedaten, wenn sie für den Wein erhaltlich sind, einen ersten Anhaltspunkt liefern: In der Regel soll der Säure-Promille-Wert etwa ein Zehntel des Mostgewicht-Wertes betragen, das heißt z.B.: ein Riesling Kabinett aus Most mit 70 Grad Oechsle verträgt 2,0 Promille Säure, um ausgewogen zu wirken. Ein günstiger Säuregehalt ist nicht nur eine Frage der Menge, sondern auch der chemischen Zusammensetzung. Die Gesamtsäure im Wein umfaßt viele verschiedene Säurearten, die wichtigsten sind Wein-, Apfel- und Milchsäure. In guten Jahrgängen, die vollreife Trauben hervorgebracht haben, überwiegt die mildere Weinsäure.

Umgang_mit_Wein_02

Aber selbst wenn der Most reichlich Apfelsäure enthält, die wegen ihres rauhen Geschmacks

weniger erwünscht ist, kann der Wein noch gut geraten: Die rauhe Apfelsäure wird durch Bakterien beim sogenannten biologischen Säureabbau in die mildere Milchsäure umgewandelt. Eine betonte Säure kann durchaus eine Bereicherung sein, wenn sie spritzig, frisch und fruchtig wirkt, besonders bei jungen Weinen. Reife, erfrischende Säure ist typisch für die nördlich der Alpen gewachsenen Weine. Eine unangenehme, beißende Säure dagegen weist auf mangelnde Reife der Trauben bei der Lese hin.

Das richtige Säure-Zucker-Verhältnis ist in hohem Grade Geschmackssache und im übrigen ausgeprägten Modetrends unterworfen. Derzeit hat eine Trockenwelle unter dem Motto "Wer auf sich halt, trinkt trockenen Wein" ihren Hohepunkt überschritten, eine abrundende Süße oder gar süße Edelweine sind im Kommen. Sicher laßt sich nur sagen, daß man zum Essen mit einem trockenen Wein am wenigsten falsch macht, denn Süße kann hier leicht störend wirken. Ansonsten aber gilt: was dem einen angenehm herb erscheint, das empfindet der andere schon als säuerlich; was dem einen ein Wein von saftiger Süße, das ist dem andern schon des Guten zuviel. Dies ist kein Thema für Glaubenskriege, es bleibt dabei: über Geschmack laßt sich nicht streiten.

Tannin (Gerbstoff)

Tannin als wesentlicher Bestandteil vor allem des jungen Rotweines wird im ersten Moment am Gaumen als herb, trocken und zusammenziehend empfunden. Tannin stammt aus den Traubenstielen, Beerenschalen und Kernen sowie aus dem Holz der Weinfässer. Gerbstoffe spielen aulgrund der unterschiedlichen Verarbeitung und Geschmacksart bei Rot- und Weißweinen eine sehr unterschiedliche Rolle. Im Gegensatz zum Weißwein, der so schnell wie möglich gekeltert und erst dann vergoren wird, bleibt bei der klassischen Rotweinbereitung nämlich der Most einige Täge mitsamt der Maische (das ist die Masse aus gemahlenen, zerquetschten Trauben) im Gartank, damit die Farbstoffe aus den Beerenschalen in den Most übertreten. Dabei gelangen zwangsläufig auch Gerbstoffe in den Wein, was aber keineswegs ein Fehler sein muß, im Gegenteil. In kräftigen Rotweinen sind Tannine in gewissen Grenzen durchaus erwünscht.

Man spricht sogar von einem Tanningerüst, an dem sich die anderen Geschmackskomponenten gewissermaßen

festhalten und emporranken; ein sehr gehaltvoller Rotwein ohne die herb-rauhe Note der Tannine wirkt leicht allzu bombastisch und alkoholbetont. In leichteren Weinen sind Tannine allerdings keinesfalls eine Bereicherung. Bei der Reifung von Rotweinen spielen Gerbstoffe eine maßgebliche Rolle. Generell gilt: Ein hoher Tanningehalt gibt dem Wein ein langes Leben. Umgekehrt braucht ein kräftiger, stoffiger Wein aber auch ein hohes Alter, um zu einem wirklichen Genuß zu werden: Anspruchsvolle Rotweine aus warmen Klimazonen wirken in der Jugend durch vorherrschende Tannine oftmals noch grob und unharmonisch, erst mit zunehmendem Alter werden sie fein und samtig.