Die Neue Welt

Die Neue Welt

Was haben ein spanischer Conquistador, die niederländische Ostindische Kompanie, die britische Erste Flotte, ein Missionar und eine Eisenbahngesellschatt gemeinsam? Sie alle spielten eine Rolle bei der Entstehung des Weinbaus in der Neuen Welt. Hernan Cortes pflanzte 1522 die ersten Reben in Mexiko, holländische Siedler brachten 1655 den Weinbau in die Kapkolonie, Captain Arthur Phillip, der erste Gouverneur von Neusüdwales, versuchte es 1788 in Sydney Cove mit ein paar Rebenstecklingen, Samuel Marsden zog 1B19 mit Weinreben und einem Gebetbuch von Australien nach Neuseeland, und schließlich bedeutete die Fertigstellung der Eisenbahnlinie von Buenos Aires nach Mendoza im Jahr 1BB5 den Wendepunkt für den Weinbau Argentiniens.

Oft sehen wir die Neue Welt als einen Schmelztiegel modischer Ideen, doch der Weinbau hat dort schon eine lange

Geschichte. Regionen wie Constantia in Südafrika und Baja California in Mexiko besitzen altehrwürdige Weintraditionen. Die Rebsorten Pais in Chile, Criolla in Argentinien und Mission in Kalifornien sind allesamt Nachfahren einer von den Conquistadores mitgebrachten Traube.

Dennoch, im Vergleich mit den Weinbauländern der Alten Welt, vor allem des Mittelmeerraums, wo die Weinrebe seit der Antike kultiviert wird, sind Australien, Neuseeland, Südafrika und Nord- und Südamerika in Sachen Wein reine Parvenüs. Zudem tragen sie alle den Stempel ihrer europäischen Abstammung, auch wenn sie inzwischen ganz eigenständige Spezialitäten entwickelt haben.

Es war also ein Zusammenwirken von Eroberung, Auswanderung und Entdeckergeist, das der europäischen Weinrebe von den Häfen Portsmouth, Amsterdam und Sevilla aus den Weg in die Länder der Neuen Welt bahnte, die nach und nach von weinbauenden europäischen Siedlern kolonisiert wurden. Die meisten Länder, um die es hier geht, liegen in der südlichen Hemisphäre. Eine Ausnahme macht Nordamerika, wo sich viele Weinerzeuger eher mit Frankreich und ltalien als mit AustraIien oder Südafrika verbunden fühlen. "Beaune in den USA", der scherzhafte Beiname der Saintsbury Winery im Napa Valley, hat auch eine eher ernsthafte Seite.

Eigentlich war es ja Kalifornien, das den Weinboom der Neuen Welt ins Leben rief. Als Robert Mondavi 1966 seine attraktive Napa Valley Winery mit Probierraum und einem Innenhof im Kolonialstil errichtete, war dies der erste Bau dieser Art seit den finsteren Tagen der Prohibition. Zwar hatte die Neue Welt noch weitere Pioniere - bei Penfolds in Australien produzierte Max Schubert seit den frühen I950er Jahren entgegen verbreiteter Kritik den Grange Hermitage, und bei Beaulieu im Napa Valley brachte Andre Tchelistcheff herrliche Cabernet Sauvignons hervor -, doch Mondavis neue Unternehmung war für das Selbstbewußtsein des Weinbaus der Neuen Welt entscheidend. Sein erfolgreicher erster Cabernet Sauvignon und sein faßvergorener Sauvignon Blanc in neuem Stil, der Fume Blanc, setzten neue Maßstäbe für Kalifornien.

Andere Weinerzeuger folgten Mondavis Beispiel, so Ric Forman bei Sterling, Warren Winiarski bei Stag's Leap, Mike

Grgich bei Chäteau Montelena, Dick Graff bei Chalone, Paul Draper bei Ridge, Joe Heitz bei Heitz Wine Cellars sowie der aus Frankreich zugewanderte Bernard Portet bei Clos du Val. Kalifornien steckte sich nun höhere Ziele. Anstatt die Herkunft ihrer Weine schamhaft zu verbergen, war die neue Schule der kalifornischen Weinerzeuger offen stolz auf sie.

Dieser Stolz sah sich im Mai 1976 voll gerechtfertigt, als bei einer von Steven Spurrier in Paris veranstalteten Blindverkostung eine Gruppe kalifornischer Weine gegen einige der feinsten Gewächse aus Bordeaux und Burgund antrat. Die weitgehend aus Franzosen bestehende Jury kürte zwei kalifornische Weine, einen Chardonnay von Chäteau Montelena und einen Cabernet von Stag's Leap, als Sieger. Time Magazine sprach vom "Urteil des Paris". Ganz plötzlich schien die Neue Welt keinen Grund mehr für Minderwertigkeitskomplexe zu haben.

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Als nächstes nahm Australien den Fehdehandschuh auf. Bis in die 1970er Jahre wurden im Land der Känguruhs mehr aufgespritete als Tischweine produziert, und es wurde mehr Bier als Wein getrunken. Dann aber machte sich Australien daran, die Weinstile der Neuen Welt umzugestalten. Die neue Rasse australischer Weine - kraftvoller, fruchtiger und vordergründiger als viele kalifornische - wandte sich an ein Massenpublikum und tat sich etwas darauf zugute, französische Vorbilder nicht nachzuahmen. Australien bemächtigte sich des kalifornischen Weinstils und trieb ihn auf die Spitze: mehr Eichenholz, mehr Alkohol, mehr Geschmacksintensität.

Wie in Kalifornien war nur zweierlei wichtig: der Erzeuger und die Rebsorte. Die "Varietals" (rein von einer Rebsorte produzierte und nach ihr benannte Weine) machten das oft schwierige Auswählen und Bestellen einfach. "Australian Chardonnay, wurde zum Inbegriff des modernen Weins aus der Neuen Welt - der Name leicht zu behalten, der Wein preiswert und süffig. Bedenkt man, daß es in Südaustra-lien, dem bedeutendsten Weinbauland des Kontinents, überhaupt keinen Chardonnay gab, bis David Wynn von Mountadam ihn 1972 erstmals pflanzte, dann kann man ermessen, mit welchem Tempo sich der australische Weinbau entwickelt hat.

Seither sind Australiens Chardonnays subtiler geworden, und die Erschließung von Weinbauregionen in kühlerem

Klima, z.B. Coonawarra, Adelaide Hills und Yarra Valley, ermöglicht eine viel breitere Weinpalette als früher. Auch wurden die ursprünglich eigenen Weinstile wiederentdeckt: Barossa Valley Shiraz, Hunter Valley Semillon und die herrlichen alkoholangereicherten Weine von Rutherglen.

Weiterhin aber prägen Anpassungsfähigkeit und das Streben nach Verbraucherfreundlichkeit den australischen Weinbau. Der Schwerpunkt Iiegt nach wie vor auf geschmacksintensiven, süffigen Weinen. Kalifornien hat sich auf einen ähnlichen Weg begeben. Nach einem Flirt mit strengen, tanninherben, für lange Flaschenreife gedachten Rotweinen nach der Art von Bordeaux hat neuerdings eine Annäherung an den fruchtbetonten Stil der Neuen Welt stattgefunden. Die Weine von Ridge, die in jedem Entwicklungsstadium schmecken, sowie die immer eindrucksvolleren Pinot Noirs beispielsweise von Au Bon CIimat, Acacia und Rochioli und die vielen einfallsreichen Erzeugnisse von Bonny Doon geben diesen Trend gut wieder.

Andere Länder der Neuen Welt haben am Beispiel Australiens und Kaliforniens gelernt. Neuseeland hat sich eine weltweite Anhängerschaft für einen bestimmten Weinstil geschaffen: den pikant grasigen Marlborough Sauvignon Blanc, den ein witziger Kopf einmal als "Bungee-Jump in einen Stachelbeerbusch" bezeichnet hat. Durch brillantes Marketing verlieh Cloudy Bay mit seinem Sauvignon Blanc der Traube von der Loire neuen Sinngehalt und damit ebenfalls einem Stil aus der Alten Welt neue Blüte. Das bedeutet aber durchaus nicht, daß Neuseeland nur eine Rebsorte kenne. Das Land des weißen Wolkenschleiers wächst rasch zu einem der besten Erzeugungsgebiete von Pinot Noir, Chardonnay und Schaumwein in der Neuen Welt heran.

Chile, Südafrika und Argentinien haben bislang noch nicht soviel Erfolg wie Kalifornien und Australien, obwohl alle drei Länder weit mehr Wein produzieren als Neuseeland. Bis noch vor kurzem waren Chile und Argentinien mit altväterischen Weinen für den heimischen Geschmack zufrieden, und erst der Rückgang des Inlandsverbrauchs hat zum Umdenken gezwungen. ln Südafrika behinderten die politischen Verhältnisse und eine strenge Zentralisierung bis in die frühen 1990er Jahre jeden Wandel.

Doch es gibt in allen drei Ländern ermutigende Anzeichen. Chile empfiehlt sich erneut als Quelle eleganter, frisch konturierter Weißweine und feingemaserter Merlots. Argentinien macht sich bereit, mit besten Rebsorten aus Frankreich, ltalien und Spanien den Weltweinmarkt zu erstürmen. Und Südafrika taucht allmählich aus der Apartheid-Ära auf und bildet mit Pinotage als seiner stärksten Waffe eine ernsthafte Konkurrenz fur die Vorherrschaft Australiens.

Was haben die Länder der Neuen Welt gemeinsam?

Es ja ist nicht ohne weiteres einzusehen, daß ein neuseeländischer Sauvignon Blanc, ein argentinischer Malbec, ein chilenischer Chardonnay, ein kalifornischer Zinfandel, ein australischer Shiraz und ein südafrikanischer Chenin Blanc aus demselben Taubenschlag stammen sollen. Übrigens bringen viele Erzeuger inzwischen auch Verschnitte aus mehreren Rebsorten heraus und stellen sich damit gegen die Grundidee "einfach ist am besten". Dennoch sind alle diese Weine durch zweierlei geprägt: Geschmacksfülle und Zugänglichkeit. Vor allem dies ist es, was den Stil der Neuen Welt ausmacht.