Weinlese

Weinlese

Im September und Oktober in der nördlichen Hemisphäre und im Februar und März auf der Südhalbkugel naht die Zeit der Weinlese, der Ernte der reifen Weintrauben und ihr Transport in die Weinkeller, wo dann unverzüglich die Weinbereitung beginnen muss, soll das Traubengut nicht schon vor der Vergärung Schaden nehmen. Die Weinlese ist damit die Schnittstelle zwischen Weinberg und Weinkeller und wird in den meisten Weinbaugebieten als Höhepunkt des Jahres betrachtet.

Die Lesezeit ist eine Zeit der hektischen Betriebsamkeit, die für alle Beteiligten höchsten Stress bedeutet, und löst die

Phase der gespannten Nervosiät ab, die die Zeit der Traubenreife begleitet.

Die Traubenreife

Bereits am Ende des Sommers prüft der Winzer den Zustand des Traubengutes auf seinen Entwicklungs-und Reifegrad. Trauben, die ihrer Zeit bereits voraus sind und schon vor dem Beginn der offiziellen Lese, die überall in der Alten Welt von Amts wegen festgelegt wird, zur Reife gelangen, können in einer Vorlese geerntet werden, denn sie würden sonst schnell in die Überreife übergehen, zu Boden fallen und Schädlinge anziehen.

Aus diesem Traubengut entsteht meist der erste Federweiße des Jahres, der noch in Gärung befindliche Traubenmost, der überall in der Welt den neuen Jahrgang ankündigt. Trauben, die ihrer Zeit soweit hinterher hinken, dass sie höchstwahrscheinlich nicht mehr zur Reife gelangen werden, sowie überschüssiges Traubengut können nunin der "Grünen Lese" auch bereits entfernt werden, denn sie würden nur zusätzliche Kraft der Pflanze verschwenden.

Beide Maßnahmen der Behangausdünnung führen letztlich zu einer höheren Qualität des verbleibenden Traubengutes,

da die Pflanze ihre Kräfte nun auf weniger Trauben konzentrieren kann. Die Lese beginnt, sobald die Trauben einen optimalen Reifezustand erreicht haben. Dieser Begriff ist jedoch relativ denn er hängt sehr stark davon ab, welcher Weinstil aus der jeweiligen Traubensorte erzeugt werden soll. So kann sich der optimale Reifezustand beispielsweise von Spätburgunder-Trauben im selben Anbaugebiet um über zwei Wochen unterscheiden, je nachdem, ob die Trauben weißgekeltert und zu Schaumwein nach dem Vorbild des Champagners oder aber zu tiefgründigem, wertvollem Rotwein in der Art eines Burgunders verarbeitet werden sollen.

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Der Schaumweinproduzent wird die Frische der Frucht und eine pikante Säure bevorzugen und deshalb wesentlich früher lesen als der Erzeuger des Rotweins, der es eher auf die sich erst spät bildenden Farb- und Aromastoffe in den Beerenschalen abgesehen hat.

Noch später erreichen die Spätburgunder-Trauben ihren optimalen Reifegrad, die - wie es beispielweise in Assmannshausen im Rheingau alte Tradition ist - an den Stöcken verbleiben, um zu Eiswein verarbeitet zu werden. Sie werden oft erst nach dem Jahreswechsel gelesen, wenn andere Weine derselben Ernte schon fast "fertig" sind. In allen Weinbauländern werden bei der Beurteilung der Traubenreife dieselben Kriterien angelegt jedoch mit regional ausgeprägten unterschiedlichen Gewichtungen.

In Deutschland, wo nur selten Weine mit zu wenig Säure entstehen, beobachtet man

vorrangig die Zuckerkonzentration in den Beeren, das Mostgewicht. Mit Hilfe eines optischen Gerätes, des Refralcometert oder einer speziellen Mostwaage kann der Zuckergehalt in der Beere genau bestimmt werden. Er wird nach dem Erfinder der Mostwaage in Oechsle-Graden angegeben. Erst wenn die Beeren ein bestimmtes, gesetzlich festgelegtes Mostgewicht erreicht haben, beginnt die ersehnte Weinlese.

In den heißeren Gebieten Südeuropas hingegen, wo der Zuckergehalt in den Beeren eigentlich immer zuverlässig hoch ist, beobachtet man hingegen Säuregehalt und -zusammensetzung in den Beeren, denn bei Erreichen der Vollreife bauen viele Traubensorten die Säure unter heißen Bedingungen rapide ab. Ein weiteres Kriterium ist vor allem bei der Rotweinerzeugung die Konzentration der Farbstoffe in den Beerenschalen.

Der Einfluss des Wetters

Nicht nur der optimale Reifezustand der Trauben bestimmt den Beginn der Lese, sondern - insbesondere in den klimatischen Randbereichen des Weinbaus - oft genug ist es das Wetteramt, das letzlich den Startschuss für den Lesebeginn gibt indem es beispielsweise eine Schlechtwetterfront ansagt. In Deutschland geht jeder deutsche Weinerzeuger ein großes Risiko ein, wenn er die Frage seines eigenen richtigen Lesezeitpunktes beantworten muss.

Während ein warmes Altweibersommer-Wetter zur Lesezeit beste Weinqualität verspricht, können starke Regenfälle

hingegen die Qualität der Trauben schnell beeinträchtigen und den Wein verwässern. Jahr für Jahr muss sich der Winzer entscheiden: Liest er bei schlechten Wetter-aussichten im späten September oder frühen Oktober die gesamte Ernte, hat er zwar möglicherweise das Traubengut vor dem Regen gerettet, kann daraus aber nur QbA-oder Kabinett-Weine erzeugen.

Will er jedoch Spätlesen oder sogar Auslesen produzieren, kann er nur auf eine Wetterbesserung hoffen, die die Trauben noch weiter reifen lässt oder sogar den Befall mit Edelfäule begünstigt. Oft genug wird diese Risikobereitschaft jedoch bestraft, sodass ein verheißungsvoller Jahrgang innerhalb von wenigen Tagen zu dünnem Wein verkommen kann. Mit etwas Glück kann der Winzer jedoch genauso gut nach einer Schönwetterperiode Spätlese- oder Ausleseweine oder sogar noch edlere Tropfen erzeugen.

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Ist der Startschuss erst einmal gefallen, muss der Winzerbetrieb alle Kräfte mobilisieren und eventuell Erntehelfer einstellen, um die große Aufgabe zu bewältigen. In einer kurzen Vorlese wird von Überreife bedrohtes oder krankes Traubengut geerntet. Gegen Ende September beginnt in den meisten Weinbaugebieten der Nordhalbkugel die Hauptlese. Sie wird bei den spät reifenden Trauben bis weit in den Oktober hinein fortgesetzt, oft sogar bis zum Monatsende.

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Bei neblig-feuchtem Wetter vom Pilz Botrytis cinerea befallene, in das begehrte Stadium der Edelfäule übergegangene Trauben werden noch später gelesen. Die Ernte der rosinenartig eingeschrumpften, zuckersüßen Trauben für die hochwertigen edelsüßen Weine kann bis weit in den November hinein dauern. In sehr weit nördlich gelegenen Weinbaugebieten können im Dezember bei Frost von mindestens minus sieben Grad gefrorene Weintrauben für die Erzeugung der wertvollen Eisweine gelesen werden.

Als Raritäten gelten vor allem die "Christweine" vom 24. Dezember.

Die Lese von Trauben für die Eisweine kann sich sogar bis in den Januar hinziehen, wobei die Weine dann dennoch mit dem Jahrgang des Vorjahres etikettiert werden. Die Lese von Hand ist eine sehr anstrengende körperliche Arbeit. Mit einem 5chneidewerkzeug durchtrennt der Leser den Stiel der Traube und legt diese in einen Behälter, der früher meist aus Korb oder Leder, heute mehrheitlich aus Kunststoff besteht. lst der Behälter gefüllt, bringt ihn der Leser zu einer Sammelstation, wo er in größere Behälter umgefüllt wird, die schließlich von Traktoren in die Kelterstationen oder Kellereien gebracht werden.

Der Vorteil der Handlese besteht darin, dass erfahrene Leser selektiv ernten, also eine Auslese nach Reife- und Gesundheitszustand des Traubengutes vornehmen können. Außerdem wird das Lesegut bei der Handlese meist schonender behandelt und weniger verletzt als bei der maschinellen Lese. Ein erfahrener Lesehelfer schafft am Tag, je nach Terrain und Pflanzdichte, zwischen 500 und 2000 Kilogramm Trauben pro Tag - in den Steilagen der Mosel sicher weniger als in den endlosen Rebzeilen der Champagne.

Ein Nachteil der Handlese ist heute sicherlich der große Personaleinsatz und die hohen Kosten, die er verursacht.

Früher gab es spezialisierte Leseteams, die sich aus Südeuropa, wo die Lese zuerst beginnt, durch die europäischen Weinbauregionen nach Norden vorarbeiteten, was ihnen von Juni, wenn in Südeuropa die ersten Tafeltrauben reifen, bis November, wenn in Deutschland die letzten 5pätlesen geerntet werden, Lohn und Brot gab.

Diese Profis sind mittlerweile aber längst verschwunden, heute kommen Leseteams aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks, die oft weniger Erfahrung mit Weintrauben als mit anderen Obst- oder auch Gemüsesorten haben. Die mangelnde Verfügbarkeit professioneller Leser, die Probleme bei ihrer Unterbringung und Verköstigung, der hohe finanzielle Aufwand und die relativ lange Zeit, die die Handlese in Anspruch nimmt, hat dazu geführt, dass sie heute vor allem bei höherwertigen Weinen, die auch einen höheren Marktpreis erzielen können, in besonders traditionsbewussten Weingütern oder bei Unmöglichkeit des Maschineneinsatzes zur Anwendung kommen. Oft wird dies mit höherer Weinqualität gleichgesetzt und an irgendeiner Stelle auf der Weinflasche werbewirksam vermerkt.

Mechanisierung der Lese

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als vor allem durch Arbeitskräftemangel auf dem Lande die Durchführung der Lese immer schwieriger wurde, hat man begonnen, Maschinen für die Traubenernte zu entwickeln. Voraussetzungen für den Maschineneinsatz sind vor allem ein möglichst ebenes bis nur leicht hügeliges Terrain sowie eine Eziehungsform der Reben in langen Rebzeilen.

Die ersten Maschinen arbeiteten mit verschiedenen Schneidewerkzeugen, die allerdings darauf angewiesen waren, dass

sich die Trauben alle ziemlich exakt in der gleichen Zone befinden und, weil dies nicht der Fall war, relativ viel Trauben am Stock beließen. Versuche mit dem Absaugen der Trauben mittels Unterdruck brachten auch keine überzeugenden Ergebnisse, die so gelesenen Beeren neigten zu schneller Oxidation. Heute arbeiten fast alle Maschinen mit kräftigen Schlägen aufs Laubdach der Pflanzen und schütteln so die Trauben ab. Darunter laufende Förderbänder fangen die Trauben auf und transportieren sie auf einen Anhänger, auf dem sie dann weggefahren werden.

Die Verletzungsgefahr ist im Vergleich zu anderen maschinellen Verfahren ziemlich gering, Oxidation kann durch

maßvolle Schwefelung unterbunden werden. Eine moderne Vollerntemaschine kann unter günstigen Bedingungen im Schichtbetrieb in 24 Stunden fünf Hektar Rebfläche abernten. Ein einzelner Top-Lesehelfer würde dafür vier Wochen brauchen, oder umgekehrt: Um dieselbe Leseleistung zu erzielen, bräuchte man mindestens 30 ausdauernde Spitzenkräfte.