Jura und Savoyen

Jura und Savoyen

Jeder Frankreichkenner hat so seine Lieblingsecke. Ich hoffe, mich nie für eine entscheiden zu müssen, aber eine Liste von Favoriten wüsste ich anzubieten - und darauf ist auch der Jura zu finden. Die Berge aus Jurakalk wogen von der Saône-Ebene in Burgund bis in die Schweiz hinein. Auf halbem Weg auf der Luftlinie zwischen Beaune und Genf liegt ein bezauberndes Städtchen namens Arbois, wo Pasteur lebte. Dann kommt Poligny, dann Château-Chalon, das Herz einer völlig ursprünglich gebliebenen Weinlandschaft. Die Rebfläche im Jura ist mit insgesamt 1800 Hektar nicht groß und auch viel kleiner, als sie früher einmal war. Aber die Ursprünge des Anbaugebiets mit seinem ganz eigenen Klima, Boden und Traubenrepertoire sind so alt wie der Weinbau in Burgund.

Im Jura entsteht ein breites Spektrum an Weinen, angefangen von Schaumweinen nach der méthode traditionnelle bis hin zum einzigartigen, vom Hefeflor geprägten vin jaune. Die Generalappellation heißt Côtes du Jura. Sie nimmt einen langen Landstreifen ein, der nördlich von Arbois beginnt und fast bis Cousance hinauf verläuft. Arbois ist eine weitere unspezifische AC mit etwas höheren Mindestalkoholvorgaben. L'Etoile umfasst Weißwein und vin de paille. Die 48 Hektar große AC Château-Chalon gilt nur für vin jaune.

Die Rebflächen erstrecken sich auf einem Band aus schwerem, kalkigem Ton entlang der Hänge auf einer Höhe

zwischen 275 und 410 Meter. Wald, Viehweiden und Kalkfelsen unterbrechen immer immer wieder das Band aus Weinbergen.

Im Gegensatz zum Elsass weiter nördlich, das im Regenschatten der Vogesen liegt, wird der nach Westen gerichtete Jura oft von sommerlichen Regengüssen durchtränkt. Auch Hagel bereitet häufig Probleme, der September und Oktober aber sind in der Regel sonnig. Die einheimischen Traubensorten sind an die Bedingungen auf den guten, sonnenverwöhnten Hängen in tiefgründigen, feuchten Böden angepasst. Am verbreitetsten ist die Poulsard, die in der Gegend von Pupillin verwirrenderweise Plousard genannt wird: Mit ihrem hellen Rot entspricht sie am ehesten dem Typus einer - nicht existenten - "Rosétraube". Eine weitere unbekannte Sorte ist die tanninreiche Trousseau, mit der man allzu "geschmeidige" Tropfen aufpeppt. Immer häufiger kommt Pinot noir in Verschnitten zum Einsatz, um den Weinen mehr Farbe und Rückgrat zu verleihen. Ansonsten ist Rot in der Minderheit: Das Gros der Weine bleibt wegen der hellen Schalen rosa, obwohl nach Art eines Roten vergoren.

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Die Standardtraube für leichte Weiße ist heute die Chardonnay, der man manchmal auch unter dem Pseudonym Melon d'Arbois oder Gamay blanc begegnet. Sie erbringt ordentliche, aber keinesfalls spektakuläre Ergebnisse. Ein Großteil wird zu Schaumwein verarbeitet. Die eigentliche Spezialität aber heißt Savagnin bzw. Naturé, im Schweizer Wallis Heida genannt. Angeblich ist sie mit dem Traminer aus dem Elsass verwandt, viele geschmackliche Gemeinsamkeiten haben sie aber nicht. Die ertragsarme Savagnin reift spät und liefert alkoholschwere, volle Weine. Werden mit ihr lediglich Chardonnay-Fässer aufgefüllt, verleiht sie dem Wein eine herrlich rustikale Qualität, weshalb man ihn mitunter als vin typé beschreibt. Wird sie jedoch reinsortig bereitet, entsteht aus ihr ein salziger, nussiger Wein von außerordentlicher Persönlichkeit. Puristen bestehen allerdings darauf, dass sortenreiner Savagnin ein trockener Tischwein sei und mithin nicht zum traditionellen Jura-Repertoire gehöre.

Die wahre Bestimmung der Savagnin-Traube aber ist ein seltsames, stark an einen Fino Sherry erinnerndes Getränk.

Die Höchstertragsgrenze für diesen oxidativen vin jaune liegt bei 20 Hektoliter pro Hektar. Der junge Wein ruht in alten Fässern, die schon viele vins jaunes gesehen haben. Man füllt sie nicht ganz auf, sondern lässt einen Leerraum. Auf der Oberfläche des Weins entsteht nun eine Florhefe, die vermutlich aus dem Fassholz den Weg in die Flüssigkeit gefunden hat, und verhindert den direkten Kontakt mit Sauerstoff. In diesem Zustand muss der Wein über einen vorgeschriebenen Mindestzeitraum von sechs Jahren und drei Monaten ruhen, ohne dass die Fässer aufgefüllt werden dürfen. Danach hat er 30 Prozent seines Volumens eingebüßt, aber eine wundersame Stabilität gefunden. Ein fertiger vin jaune ist ein beeindruckender Aperitif mit intensivem Geschmack, einer leicht oxidativen Note (die Hefeschicht ist nicht so dick wie in Jerez) und guter Länge, kurzum: ein feiner, lohnender Genuss. Berühmt für ihren "gelben Wein" sind das Dorf Château-Chalon und einige Nachbargemeinden, doch findet man in der gesamten Region gute Exponenten.

Wein, der in so geringen Mengen, nach einem so aufwendigen Verfahren und keineswegs jedes Jahr erzeugt wird, ist zwangsläufig teuer. Der vin jaune wird wie Tokajer in kleineren Flaschen als üblich abgefüllt, was den hohen Preis etwas kaschiert. (Die langhalsige, breitschultrige clavelin des Jura fasst 0,62 Liter.) Es wäre vermessen zu behaupten, dass vin jaune auch nur annähernd so preiswert, verlässlich oder sogar köstlich ist wie erstklassiger Fino Sherry. Aber es gibt ihn, und als Weinfreunde sollten wir für Vielfalt dankbar sein und sie fördern.

Eine weitere regionale Spezialität, die mit hohem Zeitaufwand zustande kommt, ist der vin de paille.

Man bereitet ihn aus Trauben, die auf Dachböden aufgehängt oder auf Stroh, paille, getrocknet wurden. So konzentriert man ihre Süße nach Art des italienischen vin santo. Die Trocknung dauert mindestens zwei Monate. Anschließend muss der Wein noch einmal wenigstens drei Jahre im Fass reifen - früher lag er dort sogar zehn Jahre. Das Ergebnis ist eine Essenz mit 15,5 bis 16 Prozent Alkohol und rund 100 Gramm Restzucker.

Die Weinberge im Jura wurden im 19. Jahrhundert von der Reblaus verwüstet und haben viele Jahre gebraucht, um sich zu erholen. Heute gedeiht der Weinbau wieder, was zum Großteil dem Fremdenverkehr und treuen Privatkunden aus Frankreich zu verdanken ist. Die Statistik weist 230 Güter aus, von denen nur wenige mehr als 13 Hektar bewirtschaften. Einer der größten Händler und Weinbauer ist Henri Mair. Die Werbetafeln für seinen Vin Fou zieren Tausende von Schuppen am Straßenrand.

Eine weitere örtliche Spezialität ist der MacVin, der nichts mit einer bekannten Fast-Food-Kette zu tun hat. Er besteht aus zwei Dritteln Traubensaft und einem Drittel marc, Tresterschnaps, der bis zu 30 Monate in Fässern gereift ist. Seit 1991 hat dieses Erzeugnis sogar seine eigene AC.

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Trotz oder vielleicht gerade wegen der einzigartigen Weine des Jura haben einige junge Winzer in den letzten Jahren kleine Güter gegründet. Die Zukunft dieses faszinierenden Anbaugebiets scheint also gesichert zu sein. Mit den genannten Spezialitäten befassen sich die besten Erzeuger. Was hingegen als Köder für die Heerscharen von Skifahrern auf dem Weg von oder zu den Wintersportzentren ausgelegt wird, gereicht der Region kaum zur Zier.

Arbois

Rund um die Stadt Arbois, die wichtigste Weinbaugemeinde des Jura, erstreckt sich die gleichnamige Appellation, die größte des Jura. Auf mehr als 750 Hektar stehen für Rot- und Roseweine Pinot Noir sowie die lokalen Sorten Trousseau und Poulsard und für Weißweine Chardonnay und die berühmte lokale Rebe Savagnin im Ertrag. Der Anteil des Weißweins liegt bei 50 Prozent, ein großer Teil davon wird zu Schaumweinen weiterverarbeitet und als Arbois mousseux vermarktet. Die Weinbaugemeinde Pupillin ist besonders privilegiert, sie darf ihren Namen in der Art einer Village-Appellation an die AC Arbois anhängen. Aus Savagnin werden durch langsame Gärung und jahrelange Lagerung im Holzfass unter Verzicht auf das Nachfüllen des Verdunstungsschwunds geringe Mengen Vin Jaune nach der Art von Chäteau-Chalon hergestellt. Außerdem erzeugen die Winzer im Jura aus auf Strohmatten getrockneten und rosinierten Trauben Vin de Paille (Strohwein).

Cotes du Jura

Die mit knapp 650 Hektar zweitgrößte AC des Jura sind die Cötes du Jura. Sie schließen südlich an die AC Arboisan, ihre Weinberge liegen über eine größere Fläche über zwölf Gemeinden verstreut. Auch hier stehen vor allem Pinot Noir, Poulsard, Chardonnay, Trousseau und Savagnin im Anbau. Die Weißweinerzeugung überwiegt, ihr Anteil beträgt 80 Prozent. Davon wird ein Großteil nach dem traditionellen Verfahren der Flaschengärung zu Schaumwein verarbeitet, der als Cötes du Jura Mousseux in den Handel kommt. Auch an den Cotes du Jura enstehen winzige Mengen von Vin Jaune, dem berühmten "gelben Wein" des Jura.

Chateau-Chalon

Der berühmteste Wein aus dem Jura ist der Chäteau-Chalon, benannt nach dem kleinen Ort in den Bergen des Jura, in dem er exklusiv erzeugt wird. Es handelt sich um einen Vin Jaune aus der Rebsorte Savagnin. Alle anderen Weine, die hier produziert werden, kommen nicht in den Genuss dieses illustren Namens, sie werden als AC Cötes du Jura etikettiert. Der Chäteau-Chalon wird nur in besonders günstigen Jahren mit hohen Mostgewichten produziert. Voraussetzung ist ein potenzieller Mindestalkoholgehalt von 12 Volumenprozenten.

Die Trauben kommen von 50 Hektar Kalkstein- und Mergelböden und werden sehr langsam vergoren. Anschließend werden sie in Eichenfässer gefüllt, deren Schwund man nicht auffüllt. 50 sind die Fässer nach einiger Zeit nur noch teilweise gefüllt. An der Oberfläche des Weines bildet sich eine Schicht aus Hefepilzen, die den Zutritt von Sauerstoff zum Wein erschwert und die Reifung des Geschmacks beeinflusst. Die Fasslagerzeit beträgt sechs Jahre. Dann wird der Wein in "Clavelins" abgefüllt, Flaschen mit 0,62 Litern Inhalt. Der würzige, goldgelbe Wein ist nun nahezu unbegrenzt haltbar.

L'etoile

Nicht weit von der Appellation Chäteau-Chalon entfernt liegt die AC L'Etoile, in der nach denselben Methoden ganz ähnlicher Vin Jaune erzeugt wird. Der Wein stammt auch aus dem Savagnin und wird ebenfalls in 0,62-Liter-Flaschen abgefüllt. Zudem entsteht unter der AC L'Etoile in besonders günstigen Jahren auch Vin de Paille, Strohwein aus auf Strohmatten getrockneten und rosinierten Trauben. Insgesamt beträgt die Rebfläche knapp 75 Hektar, von denen auch etwas trockener, leichter Chardonnay kommt, der allerdings unter der AC Cötes du Jura läuft. Wird er jedoch nach dem traditionellen Verfahren der Flaschengärung zu Schaumwein verarbeitet, darf sich dieser L'Etoile Mousseux nennen.

Savoyen

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Das Weinland Savoyen folgt der Rhône südlich des Genfer Sees, streift bei Aix-les-Bains den Lac du Bourget, den größten französischen See, nimmt die Flanken des Tals südlich von Chambéry in Beschlag und macht schließlich eine Kehrtwendung nach Osten in das Is&eagrave;re-Tal hinein. Der gesamte Bereich ist geprägt von der Nähe der Alpen und eher als lose Reihe günstiger Anbaugelegenheiten in insgesamt vier Départements denn als zusammenhängendes Gebiet zu sehen. Die ACs in Savoyen nehmen 1800 Hektar in Beschlag und sind von einer verstörenden Komplexität - ganz im Gegensatz zum einfachen, frischen, belebenden Wein. Mehr als drei Viertel des savoyischen Weins sind weiß. Er wird aus einem halben Dutzend Rebsorten bereitet. Am Südufer des Genfer Sees (Haute-Savoie) herrscht die Chasselas, die die Schweizer Fendant nennen. Crépy ist dort der bekannteste Cru, gefolgt von Marignan, Ripaille und Marin; sie alle liefern leichte, oft scharfe Weine.

Die nur für Weißwein zugelassene AC Crépy wäre vielleicht schon von der Bildfläche verschwunden, hätten Léon

Mercier und Sohn Louis das Fähnlein nicht hochgehalten. Bessere Erzeugnisse werden sur lie, auf der Hefe, abgefüllt und prickeln daher leicht. Auch Ayze hat sich mit säurereichem pétillant einen Namen gemacht.

Mit der Appellation Seyssel lassen sich Wetten gewinnen, denn kaum jemand weiß, dass hier Frankreichs nördlichster Rhône-Wein entsteht. Als Trauben finden die Roussette alias Altesse für Stillweine und Molette für Schaumweine Verwendung. Die aristokratische Roussette erbringt Gewächse mit relativ viel Alkohol, Körper und Geschmack. Molette dagegen ist ein mildes Träubchen. Die AC Seyssel hat sich international einen Ruf für Schaumweine klassischer Machart erarbeitet. Als Spezialist dafür gilt Varichon & Clerc.

Ob still oder prickelnd, trocken oder leicht süß, Roussette-Abfüllungen entstehen entlang des Rhône-Tals und am Lac du Bourget in Frangy, Marestel, Monterminod und Monthoux. In Spitzenjahrgängen erreichen sie Vouvray-Niveau.

Die dritte und häufigste Traube des Anbaugebiets heißt Jacqu&eagrave;re. Südlich von Seyssel werden im Bereich

Chautagne mit seiner Kellereigenossenschaft in Ruffieux als önologischem Dreh- und Angelpunkt Weiße aus ihr bereitet. Weiter dominiert sie südlich von Chambéry in Chignin, Apremont, Abymes und Montmélian. Über die besten Südlagen verfügt Chignin, wo die Weine ein paar Cent mehr einbringen als in den Nachbarzonen Apremont und Les Abymes. Eine Rolle spielen ferner Gamay, Pinot noir und Mondeuse. In die malerischen Weinberge der Gegend fressen sich derzeit rasch Vororte.

Montmélian, vor wenigen Jahren ein Alpendörfchen, wird heute von Siedlungen verunstaltet. Die Rotweinberge an den Hängen der Is&eagrave;re sind noch fast intakt, doch kann es damit bald vorbei sein. Im Mittelpunkt steht die Genossenschaftskellerei in Cruet. Sie beliefert Cruet, Arbin, Montmélian und St-Jean-de-la-Porte. Der mit Abstand beste Wein ist meines Erachtens der Mondeuse, vor allem der aus Arbin. Ein Gamay kostet etwas mehr, und noch ein Stückchen teurer sind Pinot-noir- Abfüllungen, aber am charaktervollsten geraten Gewächse aus der Mondeuse. Die dunklen, leicht tanninbetonten, weichen, aber lebhaften Kreszenzen erinnern mich an den "himbeerigen" Chinon von der Loire. Weitere Lokalspezialitäten sind die Roussette, die einen gelben, körperreichen, leicht bitteren Tropfen erbringt, der gut als Italiener durchgehen könnte, sowie in Chignin die Bergeron, die entweder eine seltene autochthone Sorte oder mit der Roussanne von der unteren Rhône identisch ist. Der aus ihr gewonnene Weißwein ist der einzige in Savoyen, der mit Würde altert. Das Appellationsgefüge von Savoyen verblasst geradezu neben der VDQS Bugey weiter westlich. Auf nur 240 Hektar Rebfläche bekommt man es hier mit einem unerklärlichen Namenswirrwarr zu tun, das mit der Anbaurealität nur wenig zu tun hat. Die VDQS für Weißwein heißt Roussette de Bugey.

Ihr Wein muss seit 2008 sortenrein aus Roussette gekeltert sein.

Für Vin de Bugey Blanc sind Jacqu&eagrave;re, Aligoté und Chardonnay zugelassen. Die VDQS Vin de Bugey gilt für Rote, Rosés und Weiße und hat mit Virieu-Le-Grand, Montagnieu, Manicle, Machuraz und Cerdon sogar ihre eigenen Crus.

Cerdon wiederum ist gleichzeitig eine VDQS für mousseux, also Schaumwein (auch in Rosa), und pétillant, Perlwein.