Wie der Wein wächst
Die Rolle von Klima und Boden
Wein ist eine der edelsten Wohltaten der Natur
Eine alte Geschichte
Der Weinstock ist eine alte Pflanze und stammt aus einer Familie mit längerer Vergangenheit als der Mensch. Die besondere Spezies, die wir heute kultivieren, stammt von Vitis vinifera silvestris, die etwa um die selbe Zeit auftauchte wie der Pekingmensch und im Wald wuchs (daher silvestris), der damals weite Teile der Erde bedeckte.
Diese Waldahne, verbunden mit der Tätsache, daß es sich um eine Rebpflanze handelt, ist verantwortlich dafür, wie der Wein wächst und wie er sich menschlichen Züchtungsversuchen anpaßt. Nur in Italien findet man noch Weinreben, die hoch in Pappeln ranken oder über eine große Pergola klettern, so wie es die Reben einst taten. Vor 3000 Jahren begannen die Ägypter mit dem Weinbau in ordentlichen, schmalen Reihen, die das Kennzeichen des modernen Weinbaus sind, und sie entwickelten auch den strengen Schnitt im Winter der den Weinstock alljährlich auf einen Bruchteil der Höhe des letzten Herbstes zurückschneidet.
Die Suche nach der Sonne
Die ursprüngliche, wilde Rebe kann 20 oder 30 m auf der Suche nach Sonnenlicht klettern, das eine der drei Bedingungen für beständiges Wachstum und Vermehrung ist. Sonne ist der Auslöser für die Photosynthese, die bei allen Pflanzen für Wachstum sorgt. Wenn der Wein langsamer wächst als die Pflanzen in seiner Umgebung und nicht die Baumspitzen erreicht, wo es genug Sonnenschein gibt, kann er nicht überleben. Im Schatten wird er seine ganze Aufmerksamkeit und Energie an ein oder zwei wilde Triebe verschwenden und keine Trauben produzieren. Wenn der wachsende Trieb beschnitten oder beschädigt wird, sorgt ein Hormonschub dafür, daß die größtmögliche Wachstumsenergie an diesen Punkt gelenkt wird, so daß der Drang nach oben, zur Sonne, gleich wieder beginnt. Für die modernen Methoden des Züchtens an Spalieren (auf die wir gleich kommen werden) ist es wichtig, diese Vorgeschichte zu kennen.
Wie der Wein wächst
Die Grafik zeigt, wie der Weinstock - wie alle Pflanzen - seine vier wichtigen Lebensgrundlagen erhält: Wasser, Nährstoffe, Kohlendioxid und Sonne. Form, Größe, Qualität und Quantität dieser vier Grundbausteine werden vor allem von Klima und Boden bestimmt, indem der Wein angebaut wird.
Klima
Welches Klima und welcher Boden den Stil der großen Weine bestimmen, ist eine schwierige Frage. Ich werde mit dem Klima beginnen, denn es ist der komplexeste und wichtigste Faktor bei der Entscheidung, ob Wein erfolgreich angebaut werden kann oder nicht (und eine ganz andere Frage, was den Stil betrifft).
Bei der folgenden Diskussion dreht sich alles um die Frage, wieviel Winterschlaf der Rebstock für seine siebenmonatige aktive Wachstumsphase braucht. Die Ansprüche der Pflanze während des Winterschlafs sind minimal und werden in Australien unterschiedlich erfüllt. Nur im Norden der Vereinigten Staaten, in China und manchmal in Europa hat der Winter viel Einfluß.
Vitis ainifera ist anfällig, wenn der Frost mehr als minus 15 Grad Celsius erreicht, und kann tatsächlich eingehen, wenn es kälter wird - wie in Frankreich im Winter 1956. Nicht so tiefe Temperaturen, sondern Kältegrade um Null oder nur wenig darunter sind am günstigsten für den Winterschlaf. Die Kälte tötet einige Ungezieferarten (Mehltau, Virenusw.), die in der Rinde überwintern, und fördert ein besseres Knospen im Frühjahr.
Frühlingstriebe
Der Beginn des Wachstums im Frühjahr hängt sowohl von steigenden Boden- als auch Lufttemperaturen ab. Es wird nicht durch Photosynthese bewirkt, sondern durch die in Wurzeln, Stamm und Trieben gespeicherten Vorräte von Kohlenhydrat. Es wirkt wie das Anlassen eines Autos mit schwacher Batterie: Wenn dann die Blätter gut wachsen, produziert die Photosynthese auf der Blattoberfläche Kohlenhydrat in ausreichender Menge, die das nun folgende, fast wildwuchernde Wachstum unterstützt.
Sonne und Temperatur
Aufmerksame Leser werden schon festgestellt haben, daß nicht unbedingt ein Zusammenhang zwischen Sonnenschein und Temperatur besteht. Richtige Temperaturen sind für den Rebstock wichtiger als Sonnenschein: Wein wächst nicht bei Temperaturen unter zehn Grad, die besten Wachstumsbedingungen liegen durchschnittlich zwischen 15 und 25 Grad; wenn die Durchschnittstemperatur über 25 Grad steigt, wird das Wachstum langsamer. Kurz gesagt: Ein Rebbstock kann zu wenig oder zu viel Wärme aushalten, aber nicht zu viel Sonne. (Da übrigens die Intensität der Sonnenstrahlung und die Wolkenmenge einigen Einfluss haben, heißt Sonnenlicht in diesem Zusammenhang Tägeslicht.)
Regen und Feuchtigkeit
Als nächstes braucht die Weinrebe zum Wachsen ausreichende Bodenfeuchtigkeit. Wieviel sie jedoch genau braucht, hängt wieder mit der Temperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit zusammen. Je höher die Temperatur und je niedriger die relative Luftfeuchtigkeit, desto mehr wird der Wein Wasser durch seine Blätter verdunsten (oder "schwitzen"). Wegen solcher Unwägbarkeiten ist es kaum genau zu sagen, wie viel Regen die Rebe während der Wachstumsphase braucht, aber es hängt immer stark davon ab, wie Boden und Untergund das Wasser halten. Aus diesem Grund finden Sie auf der Seite eine Grafik mit Angaben über das Klima in den verschiedenen Regionen Australiens.
Bewässerung: ein Negativ-Wort
Der Joker ist die Bewässerung. Die Mehrzahl der australischen Weinberge wird bewässert, eine Praxis, die die Franzosen aus vollem Herzen verachten. Ihre Einstellung und eine Vergangenheit ohne künstliche Bewässerung haben zu der Ansicht geführt, daß künstliche Bewässerung etwas Böses ist und nichts mit Qualität zu tun hat. Doch das Gegenteil ist richtig: Um Qualitätstrauben zu produzieren, muß der Weinstock im Gleichgewicht sein, und zu wenig Feuchtigkeit schadet. Diese Meinung geht mehr oder weniger darauf zurück, daß es in Frankreich im Sommer und Herbst ausreichend regnet. Wie immer im Leben kommt es auf das richtige Maß an: Wenn zu viel bewässert wird, um das Wachstum zu beschleunigen, oder wenn andere Voraussetzungen ungünstig sind (schlechter Boden, zu warm usw.), wird die Qualität entsprechend leiden.
Wind
Wie die Menschen leidet Wein unter kaltem Wind. Moderne Forschungen haben festgestellt, wie sehr der Wind den Reifeprozeß behindern kann, ganz abgesehen von Unwetterschäden. Selbst leichter Wind lässt den Atmungsvorgang bei der Photosynthese langsamer werden und kann ihn sogar ganz zum Stillstand bringen.
Boden
Die Meinungen über die Bodenbeschaffenheit sind ganz unterschiedlich. Extrem ist die Ansicht, daß die Hauptfunktion des Bodens lediglich eine Verankerung sei, ein fester Grund, in dem die Wurzeln gedeihen können und so das aktive Wachstum der Rebe über der Erde fördern. Anders gesagt - Wasser und Nährstoffe können unabhängig zugeführt werden, entweder durch Bewässerungssysteme oder (theoretisch) durch ein Hydrokultursystem.
Die französische Meinung
Ganz entgegengesetzt ist die Meinung der Franzosen, die den Boden für entscheidend wichtig halten. Sie brauchen dafür den Fachausdruck,Terroiro, den ein renommierter französischer Weinbauer als "Kombination von K1ima, Boden und Landschaft" beschrieben hat. Es ist eine Kombination unendlich vieler verschiedener Faktoren: die Temperaturen bei Tag und bei Nacht, die Regenhäufigkeit, die Zahl der Sonnenstunden, der Säuregehalt des Bodens und sein Gehalt an Mineralien, Tiefe, Staunässe, Lage zur Sonne, Hanglage, Entwässerung, um nur einige zu nennen. Dies alles spielt zusammen, und so entsteht, in jedem Teil des Weinbergs, das, was französische Winzer "Terroir" nennen. Daraus folgt, daß jedes "Terroir" einzigartig ist, und es erklärt auch, dass Grund und Boden für Weinland bis zu 2,5 Millionen $ pro Hektar wert sind. Darum können die Franzosen auch sagen, daß man Chardonnay überall anbauen und keltern, daß man aber Weißen Burgunder nur in Burgund produzieren kann (dafür dann aber eine Chardonnay-Traube verwendet).
Besteht ein Zusammenhang zwischen Boden und Traubengeschmack?
Extreme Terroiristen sehen eine direkte Verbindung zwischen dem Boden, seinem Gehalt an Mineralien und organischen Nährstoffen und dem Geschmack der Traube. Das führt zu der Vorstellung, daß bestimmte Traubenarten einen bestimmten Boden (etwa Kalkstein) brauchen, ohne den die Qualität beeinträchtigt würde. Diese Meinung wird nachdrücklich vertreten, ist jedoch wissenschaftlich nicht bewiesen.
Bodenstruktur
Vernünftiger ist die Meinung, daß es vor allem auf die Struktur des Bodens ankommt. Er sollte das Wachstum der Rebwurzel sowohl in der Tiefe wie nahe der Oberfläche fördern; Wasser sollte sich nicht stauen, aber gleichzeltig, eine längere Zeit gespeichert werden können, und der Boden sollte die Fähigkeit haben, Wärme aufzunehmen und nachts wieder abzugeben.
Bodenarten
Praktisch gesagt, erfüllen drei Bodentypen diese Voraussetzungen: Kiesiger Alluvialboden, Kalkstein oder mit Kalkstein durchsetzter Boden und durchlässiger Lehmboden. In allen drei Fällen ist das Vorhandensein von Fels und Steinen entscheidend, weil es der Drainage und der Verwurzelung nutzt, ein wirksamer Wärmespeicher ist und Strahlung reflektiert. Weniger geeignete Böden sind schwerer Lehm, magere Sandböden und reiche Alluvialböden. Es gibt Weinberge auf solchen Böden, aber die Reben ergeben keinen Qualitätswein.
Moderne Laubdachkontrolle
Im letzten Jahrzehnt ist viel praktische Forschung darauf verwendet worden, um richtige Laubdächer zu ziehen, ein vollkommenes Zusammenspiel von neuen Trieben, Blättern und schließlich den alljährlich wachsenden Traubenbüscheln zu formen. Diese Bemühungen werden leichter verständlich, wenn man an die Vorgeschichte der Weinre bedenkt, die ich eingangs erläutert habe. Es ist wesentlich, einen Rebstock zu züchten, der das richtige Gleichgewicht zwischen Trieben, Blättern und Trauben besitzt, so daß die richtige Menge von Sonnenlicht durch das Laubdach dringt und auf die Trauben fällt.
Rebschnitt oder nicht?
Seit der Zeit der Ägypter und noch bis vor kurzem wurde dies durch alljährliches Beschneiden im Winter erreicht, mehr noch, durch sehr starken Rückschnitt. Weil in der unmittelbaren Umgebung des Weins nichts wächst, und er normalerweise zum Wachsen ein Spalier hat, funktioniert dieses System dort gut, wo die Kombination von Boden oder Terroir, Klima, Pflanzdichte (die Anzahl der Weinstöcke pro Hektar) und die Schnittmethoden zu einem ausgeglichenen Wuchs mit dem richtigen Sonneneinfall führen. Die Zielrichtung der neueren Forschung ging dahin, dieses Gleichgewicht und den Sonneneinfall zu verbessern, einerseits durch neue Spalierformen, andererseits durch maschinellen Schnitt im Winter und im Sommer durch teilweises Beschneiden und Ausputzen von Blättern um die Traubenbüschel (die sogenannte Fruchtzone).
Die australische Lösung: minimaler Schnitt
Australien ist jedoch einen völlig anderen Weg gegangen, der darin besteht, daß man gar nicht beschneidet, auch wenn dies euphemistisch minimaler Schnitt genannt wird. Der Wein darf so wachsen, wie die Natur es will; man vertraut auf die bislang nicht vermutete Fähigkeit, Wachstum und taubenbildung außen am Laubdach, wo das beste Sonnenlicht einfällt, selbst zu regulieren. Die Erträge nehmen dabei normalerweise zu, mit viel mehr Traubenbüscheln, die kleiner als üblich sind. Weinbauern, die so arbeiten, erklären, daß die Qualität besser sei; die Gegner behaupten, daß sie sich verschlechtere. Aber alle stimmen darin überein, daß sie eine der teuersten Faktoren im Weinbau abgeschafft hat: den Schnitt.
Ertrag und Qualität
Dies führt direkt zu dem umstrittensten aller Fragen: Welches ist die optimale Produktionsmenge oder Ernte? Dies ist ein außerordentlichkomplexes Thema, und welche Antwort man auch gibt, sie muß gut begründet werden. Mit dem Vorsprung von rund 1000 Jahren Erfahrung nennen die Franzosen die Zahl von 6,8 Tonnen pro Hektar beziehungsweise 45 Hektoliter (4500 Liter) pro Hektar - Most, gemahlene Trauben oder Saft. Allerdings steht diese Zahl in keiner Relation zur Pflanzdichte, und viele argumentieren, daß es der Ertrag pro Rebstock ist, der zählt. Andere entwickeln dieses Argument weiter und meinen, daß es der Ertrag pro Zentimeter fruchttragenden Holzes sein sollte, der berechnet werde muss, andere wiederum ziehen es vor, in Trieben pro Hektar zu rechnen.
Bis zu einem gewissen Punkt ist klar, daß sich die Qualität der Trauben bei zunehmendem Ertrag verringert.
Dieser Punkt wird früher (also bei niedrigeren Ernten) bei Rotwein als bei Weißwein erreicht. Ich persönlich meine, daß die Zahl um 7,5 Tonnen pro Hektar für Rotwein und bei 11,5 Tonnen pro Hektar für Weißwein liegen sollte. Aber natürlich gibt es einen gewissen Spielraum, und die Qualität dürfte sich nicht entscheidend verschlechtern, solange diese Zahlen nicht um mehr als 50 Prozent überschritten werden.
Die Erträge in Australien sind seit Beginn dieses Jahrhunderts enorm gestiegen und liegen jetzt über den von mir geforderten Grenzen. Aber beachten Sie auch, daß dies durchschnittliche Erträge sind, die aktuellen Zahlen in einigen Regionen, vor allem den Riverlands, liegen viel höher. Dies ist genau der Grund, warum Wein in Plastikcontainern so billig ist, und es erklärt auch den Riesenunterschied zwischen einer Flasche Cabernet Sauvignon in Spitzenqualität und einem Cabernet Sauvignon im Plastikcontainer.